SonntagsBlick: Am Anfang steht eine Hightech-Maschinerie und alles endet in purer Zerstörung: Dave Eggers, Ihr neuer Roman «Die Parade» erinnert stark an die Erzählung «In der Strafkolonie» von Franz Kafka. Dachten Sie beim Schreiben daran?
Dave Eggers: Irgendwo im Kopf war Kafka, als ich über dieses Buch nachdachte. Aber da war genauso George Orwell, John Maxwell Coetzee, Chinua Achebe und selbst ein wenig John Steinbeck.
In der Realität inspirierte Sie eine Reise durch Südsudan im Jahr 2004 zur «Parade». Weshalb dauerte es so lange bis zur Publikation des Romans?
Manchmal brauchen Bücher einen langen Reifeprozess. Sehr oft mache ich mir über acht bis zehn Jahre Notizen zu einer Idee, bevor ich sie zu einem Roman forme.
Damals sahen Sie diese schnurgerade Paradestrasse. Was war Ihre erste Notiz?
Wir fuhren mit dem Auto im Norden des Landes an der Stadt Aweil vorbei und gelangten dort auf eine gewaltig grosse Strasse, die eben erst neu gebaut wurde. Wir fanden es seltsam, dass ausgerechnet eine schwedische Firma den Auftrag bekommen hatte, diese Strasse zu nivellieren und zu teeren. Das blieb mir.
Was beschäftigte Sie daran?
Mich faszinieren Menschen, die sich in unbekanntem Gelände bewegen. Und in diesem Fall führten die Schweden einen Plan aus, in den sie nicht einmal eingeweiht waren.
Anonyme Arbeiter in einem anonymen Land: Im Roman benennen Sie weder das Land noch die Herkunft der Arbeiter. Weshalb?
Weil ich Amerikaner bin und ich fürchtete, dass die Leserschaft annimmt, die Arbeiter seien Amerikaner und das Buch sei ein Kommentar zur internationalen Einmischung der USA.
Aber das könnte die Leserschaft jetzt immer noch vermuten.
Doch das ist nicht so. Solche Baustellen gibt es in hundert verschiedenen Konstellationen rund um den Globus. Die Männer können Schweden, Chinesen, Deutsche, Nigerianer sein oder von einem Dutzend anderer Länder kommen.
Und wo liegt das Problem?
Der entscheidende Punkt ist der: Sie führen einen Plan von anderen aus, ohne das beabsichtigte Ziel zu kennen. Sie sind Bauern im Schachspiel.
In Ihrem Roman sind die beiden Arbeiter bloss Nummern: Der eine ist die Vier, der andere die Neun. Zusammen ergibt das die Unglückszahl 13. Zufall oder Absicht?
Sie sind der Erste, der das bemerkt hat – vielen Dank! Der geschäftstüchtige Ansatz und das fehlende Einfühlungsvermögen von Vier kombiniert mit dem chaotischen Verhalten von Neun ergibt diese schlechte Mischung.
Eine Entfremdung von der Arbeit im Sinne von Karl Marx?
Gewiss, Vier und Neun sind abgekoppelt vom Produkt ihrer Arbeit – und das mit Absicht. Ihr Arbeitgeber will das so. Sie werden von jedem Kontakt zu ihrer Arbeit und den Leuten, für die sie das machen, abgehalten. Sie werden absichtlich entfremdet, und im Fall von Vier ist das auch der Umgang, den er bevorzugt.
Obwohl sich das kommunistische China auf Marx beruft, schickt das Land am meisten solche Arbeiter ins Ausland. Ist das ein neuer Kolonialismus?
Das ist die Frage: Ist Chinas «Belt and Road»-Initiative, die dem Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze zwischen der Volksrepublik und 60 weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Europas dient, globaler Wirtschaftsimperialismus? Oder noch düsterer: Ist das die Grundlage für allfällige militärische Einmischung?
Wie meinen Sie das?
Wenn die Chinesen Häfen, Strassen und Flughäfen überall auf der Welt kontrollieren – wie leicht liessen sich diese Anlagen militärisch nutzen. Die Geschwindigkeit, mit der die Chinesen bauen, ist schwindelerregend. Sie sind überall in Afrika, vor allem in Südsudan.
Arbeiter von einem fremden Land anstatt Einheimische: Kann das überhaupt angemessene Entwicklungshilfe sein?
Bauunternehmer aus der Ferne zu engagieren, ergibt immer eine gewisse Spannung. Internationale Projekte, die meiner Ansicht nach am besten funktionieren, sind eine Mischung aus lokalen Experten und ausländischer Hilfe, wo sie nötig ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Der Sudanese Valentino Deng, der die reale Vorlage für die Hauptfigur aus meinem Roman «Weit gegangen» ist, baute ein Schulhaus im Südsudan. Bauarbeiter und Architekten zog er vor Ort heran. Nur wenig finanzielle und technologische Unterstützung kam von ausserhalb. Auf lokale Fähigkeiten zu bauen, sorgt für ein längerfristiges Ergebnis und gibt ein Gefühl für Eigenverantwortung.
Sollten wir den Menschen Hilfe zur Selbsthilfe geben?
Ja, Investitionen und Bildung sind immer besser als Almosen.
Zumal ausländische Helfer oft nicht wissen, was die Menschen vor Ort brauchen: Kürzlich hörte ich von einer Hilfsorganisation, die Indien mit Toiletten helfen wollte, doch die Menschen nutzten die Häuschen als Gebetsraum.
Pläne, die man in Berlin, London oder New York ausarbeitet, sind vor Ort sehr oft unausführbar. In Südsudan entwarf ich auch eine Toilette – und sie endete als Zuhause für Fledermäuse. Das zeigt, wie wir häufig falsch liegen und wie wir zuerst vor Ort die Bedürfnisse abhören müssen, bevor wir mit irgendwelchen gut gemeinten Plänen beginnen.
Erkennen Sie ein Umdenken?
Ich denke, dass die Welthilfe in den letzten 20 Jahren ziemlich viel gelernt hat. Sie ist schneller, reaktionsfähiger und hört eher auf lokale Informanten. Doch man muss sagen: Selbst Menschen mit den besten Absichten machen gewaltige Fehler im Bestreben zu helfen.
Deswegen flüchten Menschen massenweise in entwickeltere Länder. Müssen wir Migration als Fakt unserer Zeit akzeptieren?
Migration ist fast in jedem Zeitalter ein Fakt gewesen. Und es wird immer einer bleiben. Aber ohne Migration wären wir eine weit weniger interessante Spezies. Wir müssen deshalb weiterhin zur Migration ermutigen, aber mit einem fairen, folgerichtigen und widerspruchsfreien System – speziell bei Asylbewerbern.
Kann die Mauer zwischen den USA und Mexiko Migranten aufhalten?
Diese Mauer ist ein Zeichen von Trumps Furcht und Eitelkeit und wird keinen Effekt auf die Migration haben. Ich bereiste die Grenze bei El Paso. Und jedermann, den ich auf beiden Seiten der Mauer traf – ob Amerikaner oder Mexikaner, ob normaler Bürger oder Grenzwächter –, sagte mir, dass die Mauer keine abschreckende Wirkung habe.
Wie hat die Migrationspolitik von Präsident Donald Trump, den Sie in «Der grösste Kapitän aller Zeiten karikieren, die USA verändert?
Die von Trump festgelegten Massnahmen und die Arbeit der US-Einwanderungsbehörde machen das Land hässlicher. Trump fördert eine inländische Agenda, bei der Immigranten zu Hause und am Arbeitsplatz terrorisiert werden; das zerfrisst die Gemeinschaft und sät Zwietracht und Gewalt.
Dabei sind die USA das Vorzeigeland für Migration – fast jeder hat Vorfahren, die von ausserhalb kommen.
Ja, ausgerechnet im Jahr 2016, als Trump mit seiner Anti-Einwanderungs-Rhetorik hausierte, bekamen sechs Amerikaner einen Nobelpreis in Wissenschaft und Wirtschaft – alle sechs sind Einwanderer.
Die Vereinigten Staaten sind zurzeit ein gespaltenes Land. Wie können die Amerikaner wieder friedlich zusammenleben?
Wenn wir 2020 einen gesunden Menschen zum Präsidenten wählen, dann bewegen wir uns Richtung Aussöhnung. Und wenn wir uns nur schon darauf einigen, dass der Präsident zurechnungsfähig und kompetent sein sollte, schaffen wir eine gemeinsame Basis.
Dave Eggers (50) ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Für sein Werk erhält er zahlreiche literarische Preise. «Der Circle» (2013) ist weltweit ein Bestseller. Eggers stammt aus Chicago und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Nordkalifornien.
Dave Eggers (50) ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren. Für sein Werk erhält er zahlreiche literarische Preise. «Der Circle» (2013) ist weltweit ein Bestseller. Eggers stammt aus Chicago und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Nordkalifornien.