Udo Kier, König der Nebenrollen, ist unermüdlich
«Nun möchte ich noch ein paar Gute spielen»

Der gebürtige Kölner Udo Kier, König der Nebenrollen aus rund 250 Filmen, brilliert in seiner ersten Hauptrolle als alternder schwuler Coiffeur Pat Pitsenbarger in der US-Independent-Produktion «Swan Song». Von «New York Times» bis «Variety» sind alle hell begeistert.
Publiziert: 03.03.2022 um 10:00 Uhr
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Udo Kier, aufgenommen an den Filmfestspielen in Cannes 2019 bei der Premiere des Films «Bacurau».
Foto: AFP
Jean-Claude Galli

Udo Kier (77) hat gemäss eigener Aussage «schon alle bösen Deutschen inklusive Hitler gespielt, dazu Dracula und Frankenstein». Er drehte mit Rainer Werner Fassbinder (1945–1982) oder Lars von Trier (65) und war Madonnas (63) Guru im Musikvideo «Deeper and Deeper». Nun begeistert der gebürtige Kölner mit den prägnant grün-blauen Augen im Drama «Swan Song», das aktuell in den Schweizer Kinos läuft. Am kommenden Sonntag ist Kier dafür in Santa Monica bei den «Spirit Awards», dem Oscar der Independent-Filme, in der Kategorie «Beste Hauptrolle» nominiert.

Angesprochen auf die guten Kritiken gibt sich Kier am Telefon gegenüber Blick bescheiden: «Das ist bloss, weil ich erstmals im Mittelpunkt stand.» Seine Feststellung ist simpel, trifft aber den Kern: Erstmals hat jemand dem König der Nebenrollen aus rund 250 Filmen wirklich Platz gelassen. Oder Kier hat selber den Mut dazu gefasst. «Ich hatte eigentlich immer Gastauftritte, was ich auch gut fand. Denn ich habe immer nur das gemacht, was mich wirklich interessierte», lässt er aus seiner Wahlheimat Palm Springs verlauten. «Regisseur Todd Stephens hat mir das Drehbuch geschickt, weil er genau mich wollte. Und ich habe ihm gesagt, ich möchte ihn zuerst einmal kennenlernen, weil mich interessierte, wie und was er denkt.»

«Ich wollte unbedingt Klischees vermeiden»

Kier verkörpert im Film den alternden schwulen Coiffeur Pat Pitsenbarger, der seine frühere Lieblingskundin, gespielt von Denver-Star Linda Evans (79), für die Beerdigung ein allerletztes Mal zurechtmachen soll. Die Geschichte hat Kier persönlich tief berührt. «Was Sie hier sehen, sind echte Gefühle, ich habe nichts gespielt. Ich bin damit auch in meine eigene Vergangenheit zurückgegangen, als Schauspieler noch an Aids starben und es keine Medikamente dagegen gab. Ich wollte bei meiner Darstellung unbedingt Klischees vermeiden. Was gerade bei einer solchen Rolle die grosse Gefahr ist, wenn man einen schwulen Coiffeur mit prominenten Kunden mimt. Dass man es völlig übertreibt, mit den Händen in der Luft rumwirbelt und ähnliche Dinge», erzählt Kier.

Gedreht wurde in Ohio, der Heimat des echten Pat Pitsenbarger. «Ich lernte die früheren Freunde des Coiffeurs kennen, die noch lebten. Die haben mir gezeigt, wie er sich bewegte und wie er die Zigarette hielt. Das hab ich übernommen, weil es aus erster Hand war. Ich habe auch diesen grünen Anzug abends nach Drehschluss an der Bar nicht mehr ausgezogen. Und die Gäste haben gesagt: ‹Hi, Pat›. Das hat grossen Spass gemacht. Und die tolle Musik, die sie für den Film gewählt haben, ist sagenhaft. Die ‹New York Times› hat mir die beste Kritik meines Lebens geschrieben, das macht mich wirklich stolz.»

«Ich habe schon als Kind von Palmen geträumt»

Kier wirkt nicht nur stimmlich unermüdlich. Seit dem Abschluss von «Swan Song» hat er bereits wieder mehrere Filme und TV-Episoden gedreht, darunter «Hunters» mit Al Pacino (81). «Ich wurde ganz ehrfürchtig neben ihm, immerhin ist Al vier Jahre älter», scherzt er. Kiers Rezept für seine Schaffenskraft: «Meine Energie nehme ich von der Sonne. Ich war 20 Jahre in Los Angeles und von dort bin ich in die Wüste nach Palm Springs gekommen, wo ich nun bleiben will. Palmen sind für mich das Symbol von Urlaub und Freiheit. Als Kind habe ich davon geträumt, eigene Palmen zu haben.»

In seinem Haus, einer früheren Bibliothek, bekommt auch seine Kunstsammlung einen würdigen Platz. «Ich habe früh angefangen damit. In jungen Jahren musste ich mich einmal zwischen dem teuren Yves-Saint-Laurent-Anzug und einem Werk von René Magritte entscheiden. Ich habe das Bild genommen, und es ist immer noch da.» Schöne Erinnerungen hat er auch an die Schweiz und Zürich. «Mit Dieter Meier in der Kronenhalle ein Glas zu trinken, ist jeweils etwas Wunderbares.» Und er freut sich auf neue Rollen. «Die Bösen hatte ich alle. Jetzt sollen es noch ein paar Gute werden. Doch zuerst will ich mal schauen, ob ich am Sonntag diesen Preis bekomme.»

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