Standing Ovations für Cate Blanchett (53) in Venedig
«Ganz oben regiert die Angst»

Im Film «Tár» spielt Cate Blanchett die fiktive Dirigentin Lydia Tár, die einem grossen deutschen Orchester vorsteht. Im Interview mit Blick erklärt der australische Hollywoodstar, wie es ist, selber verraten zu werden, und wo die Tücken der Macht versteckt sind.
Publiziert: 05.09.2022 um 14:57 Uhr
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Cate Blanchett auf dem roten Teppich bei der Premiere von «Tár» am 1. September 2022 beim 79. Filmfestival von Venedig.
Foto: Getty Images for Lexus
Interview: Patricia Danaher

Die sechsminütigen Standing Ovations trieben sogar einer Hauptdarstellerin, die nicht für öffentliche Gefühlsausbrüche bekannt ist, die Tränen in die Augen. Für Kritiker stand nach der Premiere von «Tár» in Venedig (I) fest, dass Cate Blanchett (53) ihre achte Oscarnominierung schon in der Tasche hat. Kein Wunder, Regisseur und Drehbuchautor Todd Field (58) hat der Australierin die Rolle der abgehobenen Stardirigentin Lydia Tár auf den Leib geschrieben. Im Interview stand Blanchett am Filmfestival Red und Antwort.

Blick: Was hat Sie an Lydia am meisten gereizt?
Cate Blanchett: Lydia ist jemand, der voller Gegensätze ist – aber auch jemand, der sich selbst von seinem wahren Ich entfremdet hat. Mich hat ihre Komplexität gereizt, weil ich finde, dass sie das unglaublich menschlich gemacht hat. Lydia fühlt sich in meinen Augen von jemandem oder von etwas verfolgt. Es ist ihre Vergangenheit, ihr früheres Ich und Dinge, die sie getan hat.

Sie spielen eine Frau auf dem Zenit ihrer Karriere …
… die von ihrem Platz auf dem Olymp wieder auf die Erde zurückgeholt wird. Wenn man ganz weit oben ist, dann regiert die Angst, dass es nur noch einen Weg gibt – den nach unten. Und für mich bedarf es einer riesigen Portion Mut, sich dem zu stellen.

Sie werden im Film von einem Vertrauten verraten. Ist Ihnen so etwas auch schon einmal passiert?
Wenn man so wie ich eng mit Menschen zusammenarbeitet, dann ist das eine sehr intime Sache. Und natürlich wurde ich auch schon enttäuscht, weil man mein Vertrauen missbraucht hat. Am Ende ist es übrigens egal, in welcher Branche du tätig bist – Diskretion geht über alles!

Sie spielen eine lesbische Frau in Zeiten, in denen überall auf der Welt die Rechte der LGBTQ-Gemeinde beschnitten werden. War es Ihnen auch deshalb wichtig, diese Rolle zu übernehmen?
Auf der einen Seite hat sich die Rolle sehr wichtig angefühlt. Und der Film als ein solcher, der dringend gezeigt werden muss. Allerdings habe ich aber überhaupt nicht an Lydias Geschlecht oder ihre Sexualität gedacht, als ich entschieden habe, sie zu spielen. Ich habe sie allein als Mensch gesehen …

… und nicht als starke Frau, die diesen Film trägt?
Sie werden lachen! So aufregend ich das jetzt auch finde, das ist mir ehrlicherweise erst auf der Pressetour so richtig aufgefallen. Als ein Journalist seine Frage mit «Sie haben eine Frau im Mittelpunkt der ganzen Handlung …» begann. Das hat mich total überrascht, und ich stellte fest: «Oh Shit, das stimmt ja wirklich!»

Im Film geht es auch um Macht. Gab es Momente am Anfang Ihrer Karriere, in denen Sie sich machtlos gefühlt haben?
Die Dinge haben sich schon sehr geändert. Also verglichen zum Beginn der Zeitrechnung, als ich in die Filmindustrie eingetreten bin. Wenn ich zurückdenke, ich kam vom Theater und habe mir niemals eine Filmkarriere ausgerechnet. Mein Mann hat damals gesagt: «Geniess es einfach, Baby. Du hast fünf Jahre, wenn du Glück hast!» Und das war damals für Frauen die Wahrheit.

Und heute ist das anders geworden?
Dank verschiedener Leute in der Industrie haben sich die Dinge verbessert. Nicht zuletzt dank Schauspielerinnen, die die Türen für andere geöffnet und die Grenzen erweitert haben. Die kleine Rollen genutzt haben, um diese gross und wichtig zu machen. Doch es gibt leider noch immer Unterschiede, wie Schauspieler und Schauspielerinnen gesehen werden. Das beginnt beim Vokabular.

Haben Sie ein Beispiel?
Eine Frau in einer Hauptrolle wird oft als «starke Frau» bezeichnet. Allein, weil sie einen grossen Einfluss auf die Handlung hat. Bei Männern wird das einfach vorausgesetzt. Und es ist nach wie vor sehr schwer, unsere «Brüder in Hollywood» dazu zu bringen, eine Nebenrolle neben einer weiblichen Hauptrolle einzunehmen – im Gegensatz zu uns Schauspielerinnen.

Sie sagten, dass sich Lydia neu erfinden musste. Sie kommen als eine Frau herüber, die genau weiss, wer sie ist, und die sich nicht verbiegen lassen würde.
Ich denke, dass ich noch dabei bin, die zu werden, die ich bin. Für mich ist Identität nicht statisch, sondern ein fortlaufender Prozess. Wir entwickeln uns ständig weiter. Und das ist doch das Wundervolle an Menschen, dass wir uns als Individuum und als Gemeinschaft verändern können. Genau das gibt mir auch Hoffnung für die Zukunft unseres Planeten.

Preisgekrönte Studienabbrecherin

Die in Melbourne (Australien) geborene Cate Blanchett (53) wurde während einer Ägyptenreise in den 1990er-Jahren als Tänzerin für den Film entdeckt und brach ihr Kunststudium für die Schauspielausbildung ab. Seit ihrem grossen Durchbruch mit «Elizabeth» 1998 gehört sie zu den führenden Hollywooddarstellerinnen und gewann 2005 für «Aviator» und 2014 für «Blue Jasmine» zwei Oscars bei total sieben Nominierungen. Blanchett ist seit 1997 mit Drehbuchautor Andrew Upton (56) verheiratet und hat mit ihm drei Söhne und eine Adoptivtochter.

Die in Melbourne (Australien) geborene Cate Blanchett (53) wurde während einer Ägyptenreise in den 1990er-Jahren als Tänzerin für den Film entdeckt und brach ihr Kunststudium für die Schauspielausbildung ab. Seit ihrem grossen Durchbruch mit «Elizabeth» 1998 gehört sie zu den führenden Hollywooddarstellerinnen und gewann 2005 für «Aviator» und 2014 für «Blue Jasmine» zwei Oscars bei total sieben Nominierungen. Blanchett ist seit 1997 mit Drehbuchautor Andrew Upton (56) verheiratet und hat mit ihm drei Söhne und eine Adoptivtochter.

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