Die stetige Verlockung des Verbotenen. Die Geschichte um den Ashley-Madison-Skandal ist fast zu gut, um wahr zu sein: Im Mai 2015 sorgte ein Hackerangriff auf Ashley Madison, ein Online-Dating-Portal für Verheiratete und Vergebene, weltweit für Schlagzeilen. Die privaten und sensiblen Daten von Millionen von Kundinnen und Kunden wurden öffentlich gemacht – Namen, E-Mail-Adressen und sexuelle Vorlieben waren plötzlich für alle einsehbar. Tausende Affären wurden weltweit aufgedeckt. Auch in der Schweiz flogen 56'000 Fremdgängerinnen und Fremdgänger auf. Ein Skandal sondergleichen.
Den verhängnisvollen Ereignissen von damals widmet sich die neue Netflix-Dokuserie «Ashley Madison: Sex, Lügen und der Skandal», die aktuell weltweit die Streaming-Charts dominiert. In der Schweiz liegt die Mini-Serie auf Platz 2 (Stand 23.5.).
«Kombination aus Abenteuerlust und Reiz an Neuem»
Was fasziniert uns so am Thema Seitensprung? «Die Anziehungskraft der Affäre ist eine Kombination aus Abenteuerlust, dem Reiz des Neuen, und dabei die Möglichkeit zu haben, die eigene Attraktivität prüfen zu können», sagt die emeritierte Psychologie-Professorin Pasqualina Perrig-Chiello (71). «Ein zusätzlicher Kick ist für viele, dass Affären meist geheim sind – und Geheimnisse haben immer einen grossen Reiz.»
Das bestätigt auch die aktuelle Netflix-Serie. In drei Folgen werden einerseits die persönlichen Geschichten einiger der vom Skandal betroffenen Fremdgänger erzählt, wie die von Youtube-Star Sam Rader (38) und seiner Ehefrau Nia (35). Andererseits beleuchtet die Doku, wie Ashley Madison zu einer der berüchtigtsten Seiten im Internet aufgebaut wurde und wie die öffentliche Debatte um das Portal von Lust, Schuld und Moral geprägt war.
Das Bemerkenswerteste dabei: Trotz des Hackingskandals von 2015 geht es Ashley Madison heute unter neuer Leitung besser denn je, wie Christoph Kraemer (50), Managing Director Europe und Sprecher des Unternehmens, Blick erklärt: «Wir haben aktuell 85 Millionen Nutzerinnen und Nutzer weltweit, sind in 46 Ländern und in 15 Sprachen vertreten. Wir sprechen von Alt bis Jung an. Über 40 Prozent unserer Neuanmeldungen letztes Jahr waren Menschen unter 30.» Moralische Bedenken, dass sein Portal Partnerschaften zerstört oder Menschen zum Fremdgehen animieren könnte, hat Kraemer keine. «Auch wenn es Ashley Madison nicht gäbe, würden Menschen trotzdem fremdgehen. Das haben sie schon vorher getan und werden sie auch tun, wenn es uns irgendwann nicht mehr geben sollte.»
Offenheit animiere zum Ausprobieren
Doch so einfach kann sich das Fremdgehportal nicht aus der Verantwortung ziehen. Denn je offener das Thema präsentiert werde, desto tabuloser und reizvoller werde es, erklärt Pasqualina Perrig-Chiello. «Dies hat zur Folge, dass Menschen, die fremdgehen, offener über ihre Erfahrungen sprechen. Diese Offenheit kann wiederum für andere ein Anreiz sein, sich ebenfalls auf eine Affäre einzulassen, was sie vielleicht noch vor einigen Jahren nicht so leichtfertig getan hätten. Ganz nach dem Motto: Viele andere tun es ja auch.» An genau dieses hedonistische Lebensgefühl knüpft Ashley Madison selbst an: «Life is short. Have an affair» (auf Deutsch: «Das Leben ist kurz. Hab eine Affäre») lautet der berühmte Slogan der Plattform – damals wie heute.
Doch was bringt Menschen überhaupt dazu, ihren Partner zu betrügen? «Oft sind es verschiedene Gründe», sagt Perrig-Chiello. «Was man mit Gewissheit sagen kann: Bei einer Affäre geht es meistens nicht nur um Sex. Vielmehr geht es darum, dass man sich von seinem Partner zu wenig beachtet oder vernachlässigt fühlt, ja sogar wütend auf ihn oder sie ist. Mangelnde Liebe und Zuwendung, Suche nach Bestätigung und eine festgefahrene Beziehung sind einige der Hauptgründe, die hinter einem Seitensprung stecken.» Einiges zugespitzter formulierte es einst der ehemalige CEO von Ashley Madison, Noel Biderman (53): «Die Menschen betrügen, weil ihr Leben nicht funktioniert.»
«Kundendaten sind sicherer denn je»
Mit dieser saloppen Aussage mag Biderman recht haben oder nicht. Doch wie findet das von ihm mitbegründete Unternehmen nach dem Skandal vor knapp neun Jahren heute überhaupt Kundinnen und Kunden, die ihm seine Daten anvertrauen? Ashley-Madison-Sprecher Christoph Kraemer gibt Entwarnung: «Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Kundendaten sind sicherer denn je.»
Doch auch wenn das Kennenlernen online geschieht, finden Affären im realen Leben statt. Und fliegt der Seitensprung auf – dies zeigt die Netflix-Doku eindrücklich –, liegt die Beziehung und das Leben der Betroffenen meist in Scherben. Und während der Betrüger oder die Betrügerin den privaten Bankrott erlebt, klingeln bei Ashley Madison die Kassen.