Der als Vergewaltiger verurteilte US-Comedian und Entertainer Bill Cosby (83) ist nach über zwei Jahren Haft wieder frei – das höchste Gericht des Staates Pennsylvania hat das Urteil gegen ihn aufgehoben. Der Grund: Verfahrensfehler.
Cosby war einer der Ersten, der im Zuge der #MeToo-Bewegung ins Kreuzfeuer geriet. Über 60 Frauen hatten gegen ihn öffentlich Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigung erhoben. Ein Fall aus dem Jahr 2004 kam vor Gericht: Cosby gestand, eine Frau betäubt und sexuell missbraucht zu haben. Der Schuldspruch im April 2018 gilt zusammen mit der Affäre Weinstein als Wendepunkt im weltweiten Kampf gegen sexuelle Gewalt an Frauen. Doch nun verlässt Cosby das Gefängnis – und erhebt die Hand zum Victory-Zeichen. Die Entscheidung sorgt für einen Aufschrei – auch in der Schweiz. Bekannte Schweizer Opfer von Sexualdelikten sprechen von einem verheerenden Signal.
Jedes Urteil ist wichtig für die Opfer
«Das ist ein Schlag ins Gesicht der Frauen», sagt Morena Diaz (28). Die Influencerin wurde selbst Opfer eines sexuellen Übergriffs durch einen ehemaligen Freund. Zunächst hatte die Ex-Lehrerin lange geschwiegen, erst vor anderthalb Jahren machte sie das Geschehene auf ihrem Blog öffentlich. Der Fall kam vor Gericht, der Täter wurde wegen sexueller Nötigung verurteilt.
«Für mich war das Urteil eine grosse Erleichterung, wichtig ist es für jede einzelne Betroffene. Wenn eine von uns gewinnt, dann fühlt sich das an, als ob wir alle ein bisschen Genugtuung bekommen für das, was wir erlebt haben», so Diaz, die sich seit dem Vorfall für Opfer sexueller Gewalt starkmacht. Ernst genommen werden, sei essenziell: «Gegen einen so berühmten Mann wie Cosby auszusagen, braucht besonders viel Mut, weil er mächtig ist.»
Noch immer ein Tabuthema
Wie viel Mut es braucht, als Opfer die Stimme zu erheben, erfuhr Andrea Gomringer (28) im Blick-TV-Format «sichtbar». Dort sprach sie erstmals öffentlich darüber, wie sie als junge Frau vergewaltigt worden war: «Ich kannte meinen Vergewaltiger.» Sie war aber so traumatisiert, dass sie jahrelang schwieg. «Nur drei Menschen in meinem nächsten Umfeld wussten davon.»
«Es ist noch immer ein Tabuthema, aber es war wichtig für mich, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich habe so viel Solidarität erfahren, von Frauen und Männern, das berührt mich enorm und zeigt mir, dass es der richtige Schritt war.» Dass ein Mann wie Cosby freikommt, findet sie, um es milde auszudrücken, «abstossend».
Das Bild vom bösen fremden Mann
Besonders schlimm findet sie, dass Cosby jetzt noch Solidarität erfährt – auch von Frauen. Für Corina Elmer (60), Geschäftsleiterin der Frauenberatung Sexuelle Gewalt, ist das Teil eines Systems, in dem sich auch Frauen mit Tätern solidarisieren: «Weil man nicht glauben will, dass jemand, den man kennt, den man vielleicht bewundert und dem man vertraut, zu so was fähig ist.»
In unseren Köpfen existiere noch immer das Bild vom bösen fremden Mann als Täter: «Aber zu 70 Prozent kennen die Opfer den Täter. Das macht es schwieriger, gegen ihn vorzugehen, weil viele in einen Loyalitätskonflikt kommen.» Schwierig findet sie, das Cosby wegen eines Verfahrensfehlers davongekommen ist: «Das bedeutet nicht, dass er unschuldig ist.» In der öffentlichen Wahrnehmung bedeutet es leider genau das.