Sie lebte den Traum vieler jungen Mädchen: Als 18-Jährige wurde Nadja Benaissa (40) im Jahr 2000 durch die Castingshow «Popstars» Teil der deutschen Girlgroup No Angels. Das Leben im Scheinwerferlicht war für Aussenstehende zwar glamourös. Doch Benaissa erlebte auch viele Schattenseiten.
«Ich war überfordert mit meinem ganzen Leben: dem Muttersein, der Arbeit, meinen inneren Kämpfen und den Kämpfen mit der ganzen Welt», erzählt die «Daylight in Your Eyes»-Interpretin im Interview mit der «Zeit». Ein Jahr vor ihrem No-Angels-Einstand brachte sie im Alter von 17 Jahren Tochter Leila zur Welt. «Alles ist auf mich eingeprasselt», sagt sie. «Ich dachte, ich wäre eine Frau, aber eigentlich war ich noch ein Mädchen.»
Viele Dinge zu verarbeiten
Es ging Schlag auf Schlag. Die Band feierte in Deutschland, Österreich und der Schweiz Hitparaden-Erfolge und war auf vielen Bühnen des deutschsprachigen Raums unterwegs. Bis heute sind sie die erfolgreichste Girlgroup Kontinentaleuropas.
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«Die Dinge, die mir damals in kurzer Zeit passiert sind, waren unfassbar schwer zu verarbeiten», so Benaissa. «Ich flüchtete mich in Alkohol und Drogen, um irgendwie zurechtzukommen. Verarbeitet habe ich nichts. Irgendwann wurden all diese Emotionen ein grosses schwarzes Loch und haben mich verschluckt.»
Sie dachte an den Tod
Die No Angels trennten sich 2003 zum ersten Mal, 2007 folgte das erste Comeback. Im Jahr 2010 sah sich Benaissa zum Austritt aus der Band gezwungen. Sie wurde von einem Gericht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, weil sie ohne Kondom Sex mit einem Mann hatte, ohne ihn über ihre HIV-Infektion zu informieren.«Das war keine leichte Zeit. Aber wirklich schwer waren eben die Jahre danach.»
Ohne den Alltag mit den No Angels sei sie plötzlich vor einer Leere gestanden. «Ich wusste nichts mehr mit mir anzufangen. Und ich wusste nicht mehr: Was ist eigentlich der Sinn meines Lebens? Ich stand vor der Entscheidung, mich meinem Elend hinzugeben, vielleicht sogar zu sterben – oder endlich etwas zu ändern.»
Therapie half ihr aus der Krise
Geholfen habe ihr eine Therapie, auch wenn dies Zeit gebraucht habe. «Ich habe versucht, meine wunden Punkte zu verdrängen. Dadurch sind sie nur umso monströser geworden. Das hat mich erdrückt. Als ich gewagt habe, mir meine wunden Punkte anzusehen, sind sie geschrumpft», so Benaissa.
Seit 2021 ist sie wieder mit den No Angels unterwegs. Die Gemeinschaft stehe dabei im Vordergrund. Fans von früher stehen bei Konzerten in der Menge, die Atmosphäre sei aber anders: «Die Leute sehen uns jetzt eher als das, was wir sind: Frauen, die viel erlebt haben.»