Literatur
Ein Paar, zwei Bücher: Helles «Wellen» und Webers «Die Vermengung»

Ein Künstlerpaar schreibt über den gemeinsamen Alltag mit zwei Kindern. Nach Julia Weber mit ihrem Buch «Die Vermengung», widmet sich nun auch ihr Mann Heinz Helle im Roman «Wellen» diesem Thema.
Publiziert: 12.09.2022 um 08:38 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2022 um 09:28 Uhr
Heinz Helle und Julia Weber, er Autor, sie Autorin, sind ein Paar. Sie teilen miteinander den Beruf, den Haushalt und das Leben mit zwei Kindern. Was das für ihn als Mann und für sie als Frau heisst, verarbeiten sie in je einem Buch. (Archivbild)
Foto: GAETAN BALLY

Es ist ein seltenes Ereignis, wenn zwei Bücher denselben Stoff behandeln und sich symbiotisch aufeinander beziehen. Heinz Helle und Julia Weber sind ein Paar und beide sind Schriftsteller. Vor zwei Jahren sind sie zum zweiten Mal Eltern geworden. Dieses Ereignis hat beide auch künstlerisch durchgeschüttelt. Wie lassen sich Elternschaft, Haushalt und Kunst miteinander in Einklang bringen und gerecht teilen? - Das ist die Frage, die sie ins Zentrum jeweils eines Buches gestellt haben. Sie geben darauf ebenso persönliche wie unterschiedliche Antworten. Das macht eine parallele Lektüre reizvoll.

Heinz Helle sucht in seinem Roman «Wellen» intensiv und bohrend Antworten darauf, was es heisst, zugleich Vater, Mann und Autor zu sein. Bereits auf den ersten Seiten überrascht er. Der Erzähler wiegt das neu geborene Kind, ohne dass er sein Schreien zu besänftigen vermag. Unwillkürlich bricht die Wut aus ihm heraus, worüber er sogleich erschrickt. Ratlos fragt er sich, «wie man überhaupt Empathie mit etwas empfinden kann, das einen nicht einmal anschaut, geschweige denn mit einem spricht».

Dieser Einstieg ist mutig, stark und unmissverständlich. Der Vater und das Neugeborene gehören (noch) nicht zusammen, der Erzähler arbeitet sich zuerst an einer Distanz ab, die die Mutter nie hatte.

So begibt sich Helles Erzähler in eine intensive Auseinandersetzung mit seinen unterschiedlichen Rollen. Er spürt in sich eine Unsicherheit schlummern und eine unterdrückte Wut, die er aus dem häuslichen Alltag zu verbannen und stattdessen «auf dankbare Ziele wie das Verkehrsaufkommen, das Wirtschaftssystem, den Putzplan» zu lenken versucht. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit öffnet sich ein Graben, in dem sich Selbstzweifel wie Krokodile tummeln. Gibt er für das Neugeborene nicht einfach die «eigenen Träume, Sehnsüchte und Überzeugungen» preis?

Von diesem Alltag erzählt auch Julia Weber. In «Die Vermengung» stellt sie ähnliche Fragen darüber, wie sich Mutterschaft und Kunst vereinen lassen. Literarisch aber geht sie einen anderen Weg. Zuerst fällt auf, dass sie den Zeitraum erweitert. Sie verlegt den Anfang ihres Buches in die Monate vor der Schwangerschaft. Die feministische Perspektive greift bei ihr ganz natürlich weiter aus.

Julia Weber bettet das schwierige Nebeneinander oder gar Gegeneinander von Mutterschaft und Kunst vor allem aber in eine ästhetisch offene, vielstimmige Struktur ein. Die Erzählerin reflektiert die Ablenkung von der Kunst durch den Alltag, um sie umgehend in einem literarischen Echoraum zu verarbeiten. Sie kreiert dafür zwei Spielfiguren, Ruth und Linda, mit denen sie sich aus ihrer Schreibnot befreit. Dazu sucht sie immer wieder das Gespräch mit ihrer Freundin A., die ähnliche Fragen wälzt.

«Wellen» und «Die Vermengung» erzählen mit dem gleichen Personal vom selben Alltag und bespiegeln einander. Dabei verrät Julia Weber mehr über H. als umgekehrt. Ihre Erzählerin richtet mehrfach auch Briefe an H. selbst, und sie zitiert aus dessen Roman «Wellen». Diese literarische Zwiesprache findet bei Heinz Helle kaum eine Entsprechung. Sein Erzähler arbeitet sich vielmehr monologisch durch das Rollenverständnis als potenziell gewalttätiger Vater, um sich zu vergewissern, was das mit seiner Männlichkeit macht.

Julia Weber schreibt sich in ihrem Buch stark. «Leiden macht die Fantasie schwach und träge», zitiert sie Natalia Ginzburg. Demgegenüber zeigt Helles Erzähler vor allem seine verletzliche Seite. Bei aller biografischen Übereinstimmung und bei aller Intimität sei aber nicht vergessen, wie es in «Wellen» heisst: «Fiktion ist Fiktion».*

*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

(SDA)

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