Wer kann sich nicht an diese winzigen goldenen Hotpants erinnern? Sie erscheinen im Jahr 2000 auf unseren MTV-Bildschirmen und gleich darauf in unzähligen Zeitungen und Magazinen. Sie bedecken sehr, sehr knapp einen sehr, sehr wohlgeformten Po und katapultieren die Frau, zu der dieser Po gehört, an die Spitze der Charts. Kylie Minogue (52), die australische Pop-Sensation, ist mit ihrem Song «Spinning Around» wieder einmal Weltspitze – dank, drücken wir es nett aus, visuellem Einfallsreichtum. So stänkern zu der Zeit jedenfalls Kritiker, welche Minogues Erfolg ausschliesslich auf das goldene Höschen zurückführen.
Kleiner Exkurs: Selbiges Höschen hat im Übrigen, das behauptet wenigstens das Internet, selbst eine wahnsinnige Geschichte. Einst soll es für eine britische Edelpuffmutter namens Michele Renée massgeschneidert worden sein, welche es, als es nicht mehr passt, in einen Secondhand-Laden bringt. Dort sticht das Stückchen Stoff der Fotografin Katerina Jebb ins Auge. Sie kauft es für 50 Pence (damals etwas mehr als ein Franken) und gibt es einem Freund, dem Stylisten William Baker, weiter. Und der arbeitet seit jeher mit Kylie Minogue zusammen. Heute hängen die Hotpants im Museum und sind schätzungsweise zehn Millionen Dollar wert, womit wir am Ende dieses Exkurses angelangt wären.
Welt im Sturm erobert
Es reicht jetzt nämlich auch mit dem Höschen, weil niemand eine über dreissigjährige Top-Karriere im Musikbusiness hat nur wegen eines Kleidungsstücks, und sei dieses auch noch so toll. Denn Kylie Minogue ist damals nach einem Knick in ihrer Beliebtheit schon auf dem zweiten Höhepunkt ihrer Karriere angelangt. Den ersten schafft sie 1987, bereits zwölf Jahre früher. Als 19-Jährige trällert sie damals den «Locomotion» – was gemäss den Song-Lyrics «ein brandneuer Tanz» sein soll – und erobert damit scheinbar aus dem Nichts die Welt im Sturm: Top 5 in Australien, den USA und Kanada, gefolgt von – erinnern Sie sich? – «I Should Be So Lucky», ebenfalls ein Top-5-Hit in diversen Ländern rund um den Globus.
Eigentlich wäre ihre Schwester der Star der Familie gewesen
Natürlich ist die 19-jährige Pop-Sensation Kylie aber keineswegs aus dem Nichts erschienen – vielmehr hat sie sich 1987 längst die Sporen als Kinder- und Jungschauspielerin abverdient. Minogue steht schon als Zehnjährige vor der Kamera. Eher aus Zufall, eigentlich gilt ihre drei Jahre jüngere Schwester Dannii (ja, mit zwei ii) in der Familie als potenzieller Kinderstar: Sie hat ihre Eltern längst dazu überredet, sie auf eine Kinderschauspielschule zu schicken, und auch bereits schon eine TV-Rolle in der beliebten Aussie-Show «Young Talent Time» ergattert.
Kylie ordnet und beantwortet inzwischen nach der Schule die Fanpost ihrer jüngeren Schwester. Erst als sie diese zufälligerweise an ein Casting begleitet, ändert sich das: Dannii ist zu jung für die Rolle, Kylie bekommt den Part in der Zweiten-Weltkriegs-Seifenoper «The Sullivans».
Es ist der Auftakt zu einer grossen Karriere, die aber nicht vor wiederholten Einbrüchen gefeit ist. Doch zunächst spielt sich Minogue in «Neighbors» als Charlene Robinson, ein widerspenstiger Teenager, der eine Ausbildung zur Mechanikerin absolviert, in die Herzen der englischsprachigen Zuschauer. Während dieser Zeit nimmt sie bereits erste Popsongs auf – und verabschiedet sich nach dem Welthit «Locomotion» von ihrer Schauspielkarriere.
Erst belächelt, dann geliebt
Ein grosses Risiko. Denn während heutzutage der Wechsel vom Schauspiel zur Musik und umgekehrt für junge Starlets machbar ist – man denke etwa an Popstar Miley Cyrus –, nehmen seriöse Kritiker Kylie Minogue nicht ernst. Als «singender Wellensittich» («singing budgie») verspottet, lässt Minogue sich jedoch nicht beirren – und setzt, als 1995 im Alter von 27 Jahren ihr Kaugummi-Pop nur noch belächelt wird und sich ihre Karriere auf einem Tiefpunkt befindet, auf eine ungewöhnliche Zusammenarbeit mit Nick Cave (heute 63). Der Sänger ist damals zehn Jahre älter als sie, war mit seiner Band The Bad Seeds nie so erfolgreich wie sie, hat aber, was sie niemals hatte: eine grosse Basis von Nicht-Mainstream-Musikfans und den grössten Respekt der Kritiker.
Der ehemalige Heroin-Junkie, ebenfalls Australier, hatte sich in Punkbands in Australien, London und Berlin einen Namen gemacht und das gelebt, was Kritiker an Künstlern generell lieben: kompromisslos für die Kunst untendurch gehen, Drogensucht, bittere Armut und ein Leben in Abbruchliegenschaften. Das komplett unerwartete Duett «Where the Wild Roses Grow» von Minogue und Cave war eine Sensation. Die morbide Ballade, welche den – im Video fast schon widerwärtig wunderschön stilisierten – Mord an einer jungen Frau zeigt, erschliesst beiden Musikern neue Felder: Minogue wird von den Kritikern endlich ernst genommen, Cave erreicht den internationalen Durchbruch jenseits der Alternativ-Musikszene.
Ein Händchen für die richtigen Mitstreiter
Nach einigen kreativen Achtungserfolgen, die sich aber kommerziell nicht wirklich lohnen, ist Kylie Minogue im Jahr 2000 schliesslich bereit, zum Mainstream-Dance-Pop zurückzukehren, und wird nun, mit breiterer Erfahrung in experimentellen Genres und einem geschärften Stilbewusstsein, völlig anders wahrgenommen.
Die goldenen Hotpants sind da nur der Anfang – der Folgehit «Can't Get You Out of My Head» aus dem Jahr 2001 ist eine durchdesignte Stilorgie in Weiss, verkauft sich über fünf Millionen Mal und spült Minogue in 40 Ländern an die Spitze der Charts. Auch in weiteren Zusammenarbeiten beweist sie ein sicheres Händchen: Das Musikvideo zu «Come Into My World» des damaligen Filmwunderkinds Michel Gondry lässt in einer ausgeklügelten Choreografie fünf verschiedene «Kylies» miteinander interagieren. Es gilt heute noch als filmisches Meisterwerk.
Berufliche Erfolge, private Rückschläge, immer wieder zäh aufstehen
Minogue ist auch mit ihren Folgealben solide unterwegs und befindet sich ganz oben, als sie 2005 eine niederschmetternde Diagnose erhält: Brustkrebs. Minogue ist zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt und hatte nie eine stabile, längere Beziehung. Pläne, Kinder zu haben und eine Familie zu gründen, zerschlagen sich in der Folge.
Doch Kylie Minogue lässt sich nicht unterkriegen und bleibt die hart arbeitende Stehauffrau, die sie schon immer war – wenn auch mit ein paar Wermutstropfen. So sagt sie etwa vor zwei Jahren zur «Sunday Times» mit Bezug auf ihren Kinderwunsch sinngemäss: «Die Diagnose hat alles verändert. (…) Ich bin jetzt aber fünfzig, und ich bin versöhnt mit meinem Leben. Es wäre sehr schwierig, weiterzumachen, wenn ich diese Tatsache nicht akzeptieren könnte. Man muss einfach weitermachen.»
In Minogues Fall bedeutet das: weiterhin Disco machen! So heisst ihr neues Album, ihr fünfzehntes (!), welches am 6. November erscheint. Und nach dem bereits erschienenen Video zur Single «Magic» ist eines klar: Kylie Minogue ist auch mit 52 Jahren noch eine Grösse, mit der man rechnen muss.