«Hi. Ist es möglich erst um 13.15 Uhr zu telefonieren? Filmen noch. Tut mir schrecklich leid.» Die WhatsApp-Nachricht erscheint kurz vor unserem Gespräch auf dem Handy. Punkt viertel nach ist kanadischen Abenteurer und Fotograf Ryan Pyle (41) am Telefon – wo er sich erneut für die Verspätung entschuldigt.
BLICK: Kein Problem. Sie erwandern im Moment die Via Alpina, den Fernwanderweg von Liechtenstein bis an den Genfersee und drehen für ihre BBC-Serie «Extreme Treks». Wo erwische ich Sie gerade?
Ryan Pyle: Wir sind gerade in Altdorf und legen einen Tag Pause ein. Es ist wunderschön hier.
Waren Sie schon einmal in der Schweiz?
Oh ja, viele Male. Schon als kleiner Junge haben mich meine Eltern zum Ski fahren mitgenommen, ich erinnere mich gut an Zermatt und St Moritz.
Aber Sie filmen zum ersten Mal hier.
Genau. Ich habe schon in verschiedenen Urwaldgebieten oder in der Wüste von Jordanien gedreht – aber noch nie in der Schweiz. Ich bin sehr glücklich nun in diesem wunderbaren Land drehen zu dürfen.
Corona hat die Welt – und auch das Reisen – verändert. Wie hat die Situation ihren Job, beziehungsweise ihr Leben beeinflusst?
Die Pandemie hat meine ganzen Pläne durcheinander gebracht. Ich hing vier Monate in Istanbul fest.
Wie war das für Sie?
Schrecklich.
Warum?
Es war deprimierend. Ich bin rund 300 Tage im Jahr unterwegs und drehe meine TV-Sendung. Das ist das, was ich kann. Wenn man so viel reist, dann wird man süchtig danach. Es ist wie eine Droge. Und im Lockdown war das nicht möglich.
Wie haben Sie das ausgehalten?
Ich habe auf meinem Youtube-Channel eine Serie gemacht, «The Covid-Call». 100 Interviews, je eine Stunde mit den unterschiedlichsten Leuten. Der Abenteurerin Jo Rust, Schauspieler Tom Hudson, die zweifache Olympia-Siegerin Tianna Bartoletta oder Neurowissenschaftler Dr. Don Vaughn. Das war eine grossartige Sache um beschäftigt zu bleiben.
Kein Wunder, dass Sie das gut können. Bevor sie Abenteurer wurden, haben Sie als Journalist gearbeitet.
Genau, nach meinem Abschluss in Toronto bin ich nach Shanghai gegangen und habe dort 16 Jahre lang gelebt. Ich habe als Journalist und Fotograf unter anderem für die «New York Times» gearbeitet.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie jetzt die Situation in China betrachten?
Ich habe keine Angst vor dem Virus, ich habe Angst vor der Reaktion der Regierungen. Grenzen werden geschlossen. Die vergangenen zehn Jahre konnte ich die Welt frei bereisen, das geht nun nicht mehr. Das macht mir am meisten Angst.
Wo leben Sie, wenn Sie nicht gerade unterwegs sind?
Ich habe keinen festen Wohnsitz. Ich habe ein fixes Hotelzimmer in Dubai. Aber dort bin ich vielleicht fünf Tage pro Monat. Dann habe ich noch ein Büro, dort stehen ein paar Koffer mit meinen Kleidern. Ich gehe dorthin, wechsle meine Sachen und dann bin ich wieder unterwegs.
Zurück zur Schweiz. Was hat Sie hier am meisten überrascht?
Wie viele Leute hier in den Bergen sind! Sonst treffe ich selten jemanden (lacht). Aber alle Schweizer scheinen ihr Wochenende dort zu geniessen. Und die Kühe. Mir war nicht klar, wie viele Kühe es hier gibt. Ich war immer nur im Winter hier (lacht). Die Sonnenaufgänge in den Bergen sind atemberaubend. Besonders nach einem Unwetter, richtig majestätisch.
Ihr Rat an alle, die gerade Fernweh und Wanderlust verspüren, aber nicht reisen können?
Geniesst euer eigenes Land! Und unternehmt draussen etwas. Die Natur ist eine Kraftquelle. In der Stadt kann man sehr unausgeglichen sein, wir sind dafür gemacht in der Natur zu sein.
Und was würden Sie den Schweizern empfehlen?
Oh, die Wanderer hier sind sehr gut vorbereitet. Sie kennen die Natur und wissen, was sie in den Bergen tun. Kein Wunder, ihr habt den schönsten Natur-Spielplatz vor eurer eigenen Tür. Ich bin echt neidisch auf euch. Ihr könntet mir noch ein paar Ratschläge geben (lacht).
Denken Sie ans aufhören?
Niemals. Das zu tun, was ich liebe treibt mich jeden Tag an.
Woher nehmen Sie diese Leidenschaft?
Ich bin neugierig und möchte neue Dinge kennenlernen. Reisen bildet fürs Leben, daran glaube ich. Ich liebe es, immer neuen Menschen zu begegnen. Ich könnte mir keine andere Art zu leben vorstellen. Und das möchte ich den Zuschauern mit meiner Sendung vermitteln.
Es gibt eigentlich schon ziemlich viele Abenteuer-Shows ...
Ich glaube meine Sendung ist anders. Es gibt so viele Abenteurer, die verrückte Dinge tun, sich in Gefahr bringen und glauben, sie seien Superman. Ich bin kein Spitzen-Athlet oder Rekordhalter. Ich bin einfach ein netter Typ, der es mag zu reisen. Ich möchte den Leuten etwas vermitteln und stelle nicht mich, sondern die Natur in den Vordergrund.
Klingt langweilig. So ein bisschen Nervenkitzel ist nichts für Sie?
Nein, das bin nicht ich. Ich bin gerne am Leben und mag es lebendig zu sein.
Die Schweiz-Ausgabe von «Extreme Treks» ist im September und Oktober 2021 auf BBC Earth und später auf Amazone Prime geplant.
Ryan Pyle (41) wurde in Toronto, Kanada geboren. Nach seinem Abschluss in Internationaler Politik an der Universität von Toronto reiste er 2001 nach China. Ein Jahr später liess er sich dort dauerhaft nieder und begann 2004 regelmässig für die «New York Times» zu schreiben. 2009 wurde er vom «PDN»-Magazin als einer der 30 aufstrebenden Fotografen der Welt aufgeführt. Seit 2010 arbeitet Ryan Vollzeit in der Fernseh- und Dokumentarfilmproduktion und ist rund 300 Tage pro Jahr auf Reisen.
Ryan Pyle (41) wurde in Toronto, Kanada geboren. Nach seinem Abschluss in Internationaler Politik an der Universität von Toronto reiste er 2001 nach China. Ein Jahr später liess er sich dort dauerhaft nieder und begann 2004 regelmässig für die «New York Times» zu schreiben. 2009 wurde er vom «PDN»-Magazin als einer der 30 aufstrebenden Fotografen der Welt aufgeführt. Seit 2010 arbeitet Ryan Vollzeit in der Fernseh- und Dokumentarfilmproduktion und ist rund 300 Tage pro Jahr auf Reisen.