Es ist nicht das erste Mal, dass BLICK-Redaktorin Patricia Broder auf den Frontmann der Toten Hosen trifft. Vor zehn Jahren bediente sie Campino als Studentin in einem Restaurant in der Zürcher Altstadt. Eine Begegnung, an die sie sich besser erinnern kann als der Sänger.
BLICK: Wir haben uns schon einmal getroffen, ich habe Sie und Ihre Band einen Abend lang bewirtet.
Campino: Oh, haben wir uns benommen (lacht)?
Sehr sogar. Sie waren sehr aufmerksam und freundlich. Am Ende des Abends zeichneten Sie mir ein Porträt von sich auf ein Tischset.
Schön, das freut mich. Es gäbe aber wohl auch einige Restaurants, die nicht so gute Erfahrungen mit uns gemacht haben.
Ich habe Sie als nahbar und frei von Allüren erlebt, ist das Ihr Erfolgsgeheimnis?
Schwierig, das selber zu beurteilen. Aber ich bilde mir sicherlich nichts darauf ein, in einer Band zu spielen.
Und doch sind Sie ein Rockstar – begeistern an Ihren Auftritten über 50-Jährige, welche die Blütezeit des Punks noch miterlebten, bis hin zu ganz jungen Fans.
Das ist wirklich eine grosse Freude. Um den Kessel zum Kochen zu bringen, braucht man die jungen Leute. Es ist aber auch toll, wenn Fans ihr Leben lang von uns begleitet werden. Mich ehrt beides.
Junge Menschen gehen heute wieder auf die Strasse. Bei den anarchischen Punks hiess es früher noch No Future, heute heisst es Friday for Future. Ist Punkrock für die Greta-Anhänger überhaupt noch relevant?
Ich glaube, ja. Rebellische Phasen kommen immer wieder, egal ob im Punk oder zum Beispiel im Hip-Hop. Eminem war für die USA genauso wichtig wie die Sex Pistols für Grossbritannien. Ich finde es grossartig, dass junge Leute sich für gesellschaftliche Themen einsetzen. Vom Geist her gibt es da klare Parallelen zu der Punkbewegung von früher. Der No-Future-Spruch meinte im Grunde genommen das Gleiche: Man machte sich Sorgen um die Zukunft. Die Jugend damals drückte es bloss zynischer aus als die Kids heute.
Sie haben einen Sohn im Teenie-Alter. Wie kann der bei einem Vater, der ein Rockstar ist, rebellieren?
Indem er sein Ding macht, egal was ich davon halte. Er geht übrigens auch zu Friday-for-Future-Demonstrationen. Mein Sohn hört keine Rockmusik, sondern ist durch und durch Hip-Hopper und Skater. Ich finde es sehr gesund, dass er anderen Idealen nachhängt als ich. Ihm ist es auch egal, ob sein Vater Taxifahrer ist, in einer Bank arbeitet oder eben der Sänger einer Rockband ist. Er hängt das nicht so hoch.
Halten Sie engen Kontakt zu ihm?
Sehr sogar. Seit er zwei Jahre alt war, lebe ich von seiner Mutter getrennt. Aber ich habe viel Zeit mit ihm verbracht und weiss damit umzugehen, wenn ein Kleinkind Fieber hat, Kummer im Kindergarten oder in der Schule. Wenn er bei mir war, war ich immer Mama und Papa in einer Person. Ich glaube, deshalb haben wir ein besonders enges Verhältnis. Das finde ich schön.
Wenn Sie auf Ihre eigene Jugend zurückblicken: Was ist bei Ihnen heute noch so wild wie früher?
Ich habe immer noch viel Leidenschaft in mir. Auch heute noch kann ich mich sehr darüber freuen, eine grossartige Band oder ein tolles Fussballspiel zu sehen. Im Stadion als Zuschauer fiebere ich heute fast noch mehr mit als früher. Da bin ich ungebremst.
Um einiges ruhiger ist hingegen Ihr neues Akustik-Album «Ohne Strom». Hatten Sie keine Lust mehr auf laut?
Jein, unsere Liebe gilt nach wie vor dem Krach und den elektrischen Gitarren. Das ist jetzt ein gemeinsam begangener Seitensprung, an dem wir unheimlich viel Spass haben. Der nächste Konzert-Sommer wird aber genauso laut und energiegeladen – nur dieses Mal mit etwas anderen Instrumenten.
Sie stehen seit über 40 Jahren auf der Bühne. Was hat sich am meisten verändert?
Wir hätten in unseren Anfangsjahren nie damit gerechnet, irgendwann unseren Lebensunterhalt mit unserer Musik verdienen zu können. Wir waren glücklich damit, wenn uns jemand Benzingeld gab und wir damit in die nächste Stadt fahren konnten. Trotzdem war es damals nicht schlechter als heute. Das hat auch damit zu tun, dass wir alle enge Freunde geblieben sind.
Sie gaben bereits zu Beginn Ihrer Karriere Konzerte in Zürich. Wie stark schlägt Ihr Herz für die Schweiz?
Sehr stark. Bei euch fühlen wir uns verstanden – auch was den Humor anbelangt. Schon Ende der 70er-Jahre hatten wir viele Freunde hier, wie die Zürcher Frauenband Kleenex, die nachher zu Lilliput wurden. Wir kannten die Szene, die Leute, die in den Klamottenläden arbeiteten, und waren auch gerne in den Zürcher Clubs wie der Roten Fabrik und dem frühen Kaufleuten. Ausserdem gefiel uns, dass Zürich damals kulturell mehr nach England ausgerichtet war und sich weniger an Amerika orientiert.
Sie hatten eine englische Mutter und sind neuerdings offiziell Brite?
Ja, ich habe nun alle Formalitäten erledigt und besitze neben dem deutschen jetzt auch den britischen Pass. Meine Nähe zu England ist in den letzten Jahren wieder stärker geworden.
Andreas Frege wurde am 22. Juni 1962 als Sohn eines Richters und einer aus England stammenden Lehrerin in Düsseldorf (D) geboren. Sein Bühnendebüt gab er 1980 als 18-Jähriger. 1982 gründete Campino die deutsche Punkrock-Band Die Toten Hosen, die seit 1990 elfmal den ersten Platz in den deutschen Albumcharts belegte.
Andreas Frege wurde am 22. Juni 1962 als Sohn eines Richters und einer aus England stammenden Lehrerin in Düsseldorf (D) geboren. Sein Bühnendebüt gab er 1980 als 18-Jähriger. 1982 gründete Campino die deutsche Punkrock-Band Die Toten Hosen, die seit 1990 elfmal den ersten Platz in den deutschen Albumcharts belegte.
Familie ist also aktuell ein wichtiges Thema für Sie?
Ja, nachdem mir dieses Thema lange Zeit relativ egal war, ist die Nähe wieder zurückgekehrt. Durch den Tod der Eltern sind einige Verbindungen etwas eingeschlafen, und ich war in einer Phase, das alles zu verarbeiten und die Welt zu entdecken. Nachdem ich dies nun durchhabe, zieht es mich wieder zurück zu meinen Wurzeln.
Sie hatten vor kurzem den Wunsch geäussert, bald heiraten zu wollen. In Ihrem neusten Musikvideo tragen Sie einen Ring am Ringfinger. Gab es eine heimliche Hochzeit?
Echt? Das Video muss ich mir wieder mal angucken. Es ist erschreckend, was man so alles vergisst (lacht).
Apropos Liebe: Halten Sie mit Ihrer Ex-Freundin Melanie Winiger noch Kontakt?
Ja. Wir haben zwar beide viel zu tun, sind aber noch befreundet und freuen uns immer sehr, wenn wir uns sehen. Das ist sehr schön und bleibt hoffentlich bestehen.
In Ihrem Kultsong «Wort zum Sonntag» singen Sie: «Wir sind noch keine 60 und wir sind auch nicht nah dran …» Nun sind Sie 57 Jahre alt – macht Ihnen das zu schaffen?
Ja, was das Lied angeht, wird es langsam eng (lacht). Wir nähern uns da einem Meilenstein, den wir nicht ignorieren können, dafür haben wir ihn viel zu sehr thematisiert. Als wir diesen Song schrieben, waren wir 20 Jahre alt. Damals lachten wir tatsächlich darüber und konnten uns nicht vorstellen, dieses Alter jemals zu erreichen. Nun sieht es aber ganz danach aus, als kämen wir dahin. Wir werden den Stichtag nicht ignorieren, sondern Stellung beziehen. Und ich bin selber schon sehr gespannt darauf, was dabei rauskommt.
Wollen Sie damit einen baldigen Rücktritt ankündigen?
Sagen wir es so: Die Toten Hosen bleiben noch ein bisschen, aber wohl nicht bis zum bitteren Ende. Wir müssen nicht unbedingt noch als 70-Jährige auf der Bühne stehen. Wenn uns irgendwann einmal der Glaube verlässt, ein gutes Lied schreiben zu können, ist es Zeit aufzuhören.
Neben den Toten Hosen, die am 16. Juli 2020 in Locarno TI auftreten, sind weitere Headliner für das Moon & Stars bekannt: Xavier Naidoo (12.7.), Lionel Richie (14.7), Lenny Kravitz (16.7.), James Blunt (17.7.) und Seeed (18.7.). Tickets für das Konzert der Toten Hosen sind heute ab 10 Uhr online erhältlich.
Neben den Toten Hosen, die am 16. Juli 2020 in Locarno TI auftreten, sind weitere Headliner für das Moon & Stars bekannt: Xavier Naidoo (12.7.), Lionel Richie (14.7), Lenny Kravitz (16.7.), James Blunt (17.7.) und Seeed (18.7.). Tickets für das Konzert der Toten Hosen sind heute ab 10 Uhr online erhältlich.