Micaela sagt, dass es vielen Frauen ähnlich geht. Ist das tatsächlich so?
Caroline Fux: Absolut. Je nachdem, wie man das Phänomen definiert, ist es sogar klar die Mehrheit.
Was meinen Sie mit «je nach Definition»?
Einige Frauen können beispielsweise beim Paarsex kommen, wenn sie sich dazu selbst mit der Hand oder einem Vibrator an der Klitoris stimulieren. Sie haben aber das Gefühl, es zähle so nicht. Es braucht deshalb eine sorgfältige Analyse, was eine Frau genau macht und erlebt und was nicht, wenn jemand mit diesem Anliegen in eine Beratung kommt.
Warum können denn überhaupt so viele Frauen beim Geschlechtsverkehr nicht kommen?
Der Hauptgrund liegt in der persönlichen sexuellen Lerngeschichte der betreffenden Frauen. Sie haben ihren vaginalen Innenraum meist sehr wenig entdeckt. Wenn sie sich selbst befriedigen, liegt ihre Aufmerksamkeit oft ganz auf der Klitoris. Das führt bei der Selbstbefriedigung bei vielen schnell und zuverlässig zum Orgasmus. Beim Geschlechtsverkehr liegt der Fokus dann plötzlich auf dem Innern. Weil Stimulationen dort aber wenig erforscht und mit Lusterleben verbunden sind, gibt es dadurch keine Erregungssteigerung oder mindestens keine, die für einen Orgasmus ausreicht.
Micaela Schäfers Freund Felix scheint von dem Geständnis überrumpelt. Was bedeutet es für den Partner?
Der Orgasmus wird von den meisten Menschen mit sexuellem Erfolg gleichgesetzt. Das ist dann natürlich kein schöner Moment, wenn man in einem TV-Interview erfährt, dass die Partnerin diesbezüglich etwas verschwiegen oder sogar verfälscht hat.
Wie soll er am besten darauf reagieren?
Grundsätzlich machen die beiden das ja ganz gut: Micaela stellt sofort klar, dass Sex nicht nur dann schön ist, wenn sie zum Höhepunkt kommt. Aber es ist spannend, dass sie ihn sofort tröstet. Es steht also sehr schnell nicht mehr ihre Lust im Zentrum, sondern seine Kränkung.
Was sollte man in dieser Situation tun?
Die beiden müssen wissen, dass niemand von ihnen etwas falsch macht. Die Situation ist wie gesagt ein Resultat von Micaelas persönlicher Lerngeschichte. Und diese ist vermutlich ziemlich typisch verlaufen. In unserer sexuellen Kultur werden Frauen kaum dazu aufgefordert, ihr inneres Geschlecht zu entdecken. Die Botschaft ist stets: Wichtig ist nur die Klitoris. Aber das stimmt so nicht. Sie mag die nervenreichste Zone sein, aber wir sagen schliesslich auch keinem Mann, dass er nur die Penisspitze beim Sex stimulieren soll, weil es dort die meisten Nerven hat. Umfassende Lust kommt von einem umfassenden Stimulieren des Körpers.
Welche Folgen kann das für eine Beziehung haben?
Im besten Fall löst so ein Moment offene Gespräche darüber aus, was den beiden Lust macht. Der Partner sollte ja nicht anfangen, ihr auf Teufel komm raus einen Orgasmus beim Sex verschaffen zu wollen. Das wird sonst ein Riesenstress und es macht oft alles nur noch schlimmer. Sexuelles Lernen passiert am besten allein. Jede Frau kann lernen, vaginal mehr zu spüren. Es ist ein persönliches Projekt und braucht Zeit. Aber die Frauen, die sich darauf einlassen, erleben es meist als grosse Bereicherung, einen Teil ihres Körpers lustvoll zu spüren, zu dem sie vorher wenig Zugang hatten. Und das beflügelt dann auch die Paarsexualität.