Angetrieben von einem ehrgeizigen Vater, kennt Molly Bloom (39) schon als junge Skifahrerin nur ein Ziel: gewinnen! «Dazu bin ich erzogen worden», wie sie im Interview bekennt. Ihre Olympia-Träume musste sie nach einem Unfall begraben. Sie bricht aus dem strengen Elternhaus aus und taucht in die Welt des illegalen Glücksspiels ein. Mit angeborenem Unternehmergeist organisiert sie bald exklusive Privatturniere und wird zur Poker-Prinzessin. An ihrem Tisch spielen die mächtigsten Männer, darunter Hollywood-Stars wie Leonardo DiCaprio – die Millionen sprudeln. Bis sie 2013 vom FBI festgenommen und ihr Vermögen beschlagnahmt wird. Molly hat Glück, kommt mit Sozialdienst davon und sorgt mit ihrem Buch «Molly’s Game» für Furore. Nun kommt dessen Verfilmung in die Schweizer Kinos, das Drehbuch von Aaron Sorkin ist für den Oscar nominiert.
BLICK: Als junge Frau waren Sie Skiprofi. Was hat Poker mit Sport zu tun?
Molly Bloom: Es geht um den Wettbewerb, man misst seine Kräfte und sein Können mit anderen. Man braucht einen sehr starken Willen und muss bereit sein, Risiken einzugehen. Und man muss sich bewusst sein, was man wann auf den Tisch bringt.
Sie haben in Ihrem Leben viel gewonnen, aber auch viel verloren. Wie wichtig ist Gewinnen für Sie?
Gewinnen war alles für mich. Das war schon ganz früh in meinem Leben so und ist es bis vor kurzem geblieben. Heute bin ich eine viel bessere Verliererin, ich habe dazugelernt. Was für ein Mensch ich bin, hängt nicht davon ab, ob ich gewinne oder verliere. Ehrgeizig werde ich immer bleiben, aber ich muss nicht immer die Erste sein. Es gibt auch andere wichtige Rollen im Leben.
Durch Ihre Hände sind Millionen von Dollars geflossen. In einer Filmszene verschenken Sie 800-Dollar-Handschuhe von Chanel. Was bedeutet Ihnen Geld?
Geld hat mich nie glücklich gemacht. Mir war es wichtig, erfolgreich zu sein, meine eigene Firma zu haben, Ziele zu erreichen. Davon war ich besessen. Das Geld brauchte ich wie eine Droge, es war überwältigend. Ich war unabhängig und abhängig zugleich. Alles zu verlieren, hat mich befreit. Es hat mir geholfen herauszufinden, wer ich wirklich bin.
Geld macht also wirklich nicht glücklich?
Früher habe ich das auch nicht geglaubt. Aber wenn man nicht mit beiden Füssen auf dem Boden steht, kann zu viel Geld einnehmen gefährlich sein und zu einer zerstörerischen Reise werden. Das habe ich nicht nur an mir selber gesehen, sondern auch bei anderen. Natürlich ist es schlimm, wenn man bankrott ist. Aber eines weiss ich zu 100 Prozent: Geld kann kein Glück kaufen.
Was bedeutet Ihnen Luxus heute?
Sechs Jahre nach meiner Verhaftung habe ich noch immer Schulden, aber mit dem Film verdiene ich Geld. Ich habe wieder ein eigenes Bankkonto und eine Wohnung. Vorher hatten diese Dinge gar keine Bedeutung mehr für mich. Heute bin ich unendlich dankbar dafür.
Was erwarten Sie von der Zukunft?
Ich überlege mir, noch ein Buch zu schreiben. Derzeit trete ich oft als Sprecherin auf. Und ich möchte ein Netzwerk für Frauen gründen. Meine Fähigkeiten möchte ich weiterhin nutzen, aber für etwas Konstruktives.
Apropos Frauen: An Ihrem Pokertisch spielten immer nur Männer ...
Es gibt durchaus auch Pokerspielerinnen, auch Profis. Aber die kamen nie zu mir. Vielleicht, weil die Einsätze zu hoch waren. Womöglich sind Frauen schlauer und nicht bereit, fünf Millionen aufs Spiel zu setzen. Und den Männern ging es dabei wohl auch um mehr als nur Poker, es war ein Machtspiel.
Bei Ihnen sassen die Mächtigen am Tisch, auch Hollywood-Grössen wie Leonardo DiCaprio, Ben Affleck oder Toby Maguire. Was lockte sie an und wie hoch war der Einsatz?
Man musste bereit sein, 250000 Dollar zu verlieren. Diese Sorte Spieler ist erfolgreich im Leben, sie haben so unglaublich viel Geld, dass es nichts gibt, was sie sich nicht kaufen können. Darum sind sie hungrig nach besonderen Erlebnissen. Am Pokertisch fühlten sie sich wie James Bond. Für viele wurde es zur Sucht.
Was war der höchste Einsatz?
Ich habe Spieler 100 Millionen setzen sehen. Es fühlt sich nicht mehr gut an, mit so viel Geld könnte man so viel Wichtigeres in der Welt bewegen. Zugleich steigerte es aber auch den Mythos rund um die Pokerrunde.
Der Richter war gnädig, Sie sind mit Sozialarbeit davongekommen.
Für diese Chance bin ich unendlich dankbar. Meine grösste Angst war, dass ich nie Kinder und eine Familie haben würde, wenn ich im Gefängnis lande. Zugleich ist es eine grosse Verantwortung, Kinder in die Welt zu setzen, dafür muss man selber stabil sein. Daran arbeite ich.
Aus Ihnen hätte eine Athletin und Anwältin werden sollen. Vermissen Sie das?
Es gibt solche Tage. Aber diese Erfahrungen haben mich auch gestärkt. Jetzt muss ich wieder lernen, ein normales Leben zu führen und einfache Dinge zu geniessen. Ich jagte diesen grossen Momenten hinterher und wollte immer mehr davon. Heute meditiere ich jeden Morgen und versuche, für andere da zu sein.