Wann haben Sie Ihre Enkelinnen zuletzt gesehen?
Heidi Maria Glössner: Ich muss zugeben, das war bereits an Ostern. Ich bin wohl nicht die vorbildlichste Rentnerin. Aber abgeschmust habe ich sie natürlich nicht. Ich habe meinen Sohn und seine Familie besucht, sie haben eine grosse Dachterrasse, also genug Platz. Zwar bin ich vom Alter her eine Risikopatientin, aber ich bin kerngesund und habe keinerlei Vorerkrankungen.
Fällt Ihnen das Daheimbleiben schwer?
Ich bin sehr viel zu Hause, und ich geniesse das sehr, gönne mir aber auch kleine Ausflüge mit dem Velo und gehe selber einkaufen, schief angeguckt hat mich deswegen noch niemand. Es ist vielleicht etwas merkwürdig, das in dieser Zeit zu sagen, aber mir geht es so gut wie lange nicht mehr. Mir wird erst jetzt bewusst, was für ein anstrengendes Jahr ich hinter mir habe, insgesamt hatte ich bloss zwei Wochen Ferien, es war ein Marathon. Und jetzt dieses Nichtstun, ich kann mich nicht erinnern, wann ich je eine solche Ruhe hatte. Auch wenn ich gerade nicht arbeitete, es gab immer einen Text zu lernen. Jetzt kann ich jeden Tag ganz gelassen angehen, ich habe schon die Polsterbezüge und Vorhänge gewaschen. Lauter Dinge, für die ich sonst weder die Geduld noch die Nerven habe.
Warum haben Sie sich das nicht schon früher gegönnt?
Wenn man gesund ist und seinen Beruf liebt, warum soll man damit aufhören? Da geht doch in allen Branchen so viel an Wissen und Erfahrung verloren. Ich finde, jeder sollte sich dann pensionieren lassen können, wenn für ihn die Zeit reif ist, egal, ob früher oder später. Ein Bekannter von mir war Professor an der Uni Bern, ein brillanter Kopf. Dort wollte man ihn mit 65 nicht mehr haben, da wurde er nach Harvard berufen. Schön ist, dass ich seit der Pensionierung aus der Arbeitsmühle raus bin, aber noch immer Auftritte habe, und es kamen ein paar schöne Filmrollen dazu. Ein Theater hier in Bern sucht extra Stücke für mich aus, Alte sind auf der Bühne doch noch gefragt.
Alt wirken Sie ja nicht gerade!
Das Alter ist demokratisch, da werden alle gleich behandelt. Ich akzeptiere, dass ich Falten bekomme und das Haar grau ist. Und ich bin sehr dankbar, dass ich so gesund bin und noch viel Energie habe. Dankbarkeit ist etwas sehr Wichtiges, ich hatte ein so reiches und abwechslungsreiches Leben und viel erlebt, im Beruf und auch in der Liebe. Viel Neues kann wohl nicht mehr kommen.
Was löst dieser Gedanke in Ihnen aus?
Schon eine gewisse Melancholie. Früher bin ich jeden Tag aufgewacht mit diesem Gefühl, was passiert heute? Da gab es noch die grossen Liebesgeschichten. Aber ich vermisse auch die kleinen Abenteuer, diese prickelnde Erotik in der Begegnung zwischen Mann und Frau. Damit meine ich nicht One-Night-Stands oder so, aber diese kleinen Gesten, Blicke und nonverbalen Spiele, die das Leben so lebendig machen. Das ist das Einzige, was mir das Älterwerden manchmal etwas schwerer macht.
Und was macht es leichter?
Heute kann ich mehr im Augenblick verweilen und Momente intensiver geniessen als noch in jüngeren Jahren. Und die Liebe verändert sich, inzwischen zählt die Freundschaft mehr als die Schmetterlinge im Bauch. Ich bin bestimmt nicht die Einzige, die diesen Frühling in einer grösseren Intensität wahrnimmt. Diese Zärtlichkeit der ersten grünen Blättchen und jetzt dieses kraftvolle Erwachen der Natur. Es ist wichtig, wach zu bleiben, Augen und alle Sinne offen zu halten. Mich macht das sehr dankbar, wir leben in der Schweiz so privilegiert. Auch wenn ich als Schauspielerin keine grosse AHV oder Pension habe, muss ich mir keine Sorgen machen. Die momentane Situation tut mir mehr für meine jungen Kolleginnen leid, viele Künstler stehen vor einer ungewissen Zukunft.
Was, wenn Sie an die Zukunft Ihrer Enkelinnen denken?
Ehrlich gesagt, macht mir da der Klimawandel mehr Angst als Corona. Zwar weiss man noch nicht, wie sich dieses Virus entwickeln wird. Hingegen ist klar, dass wir auf eine Katastrophe zusteuern, wenn wir weitermachen wie bisher und sich die Erde zusehends erwärmt. Aber vielleicht ist Corona auch eine Art Weckruf, allein wenn man sieht, wie rasch sich die Luft in Metropolen wie Shanghai oder Mumbai verbessert, plötzlich spazieren Rehe durch Paris, und Quallen schwimmen durch die Kanäle in Venedig. Und wir merken, wie abhängig wir alle, Natur und Menschen, voneinander sind, unsere Vergänglichkeit wird uns bewusster.
Stichwort Vergänglichkeit, wie befassen Sie sich mit dem Thema Sterben?
Da bin ich fatalistisch, ich hatte ein so reiches Leben. Natürlich ist das leicht gesagt, solange man gesund ist. Und bestimmt würde ich alles tun, um zu genesen, würde ich krank. Aber ich möchte nicht an Schläuchen dahinvegetieren. Angst machen mir eher die Schmerzen und das Leiden. Ich hoffe, dass ich mal so gehen kann wie meine Tante Ida. Als sie ein letztes Mal sanft ausgeatmet hat, ist sie mit einem friedlichen Lächeln gegangen. Der Tod macht mir nicht so viel Angst, vielleicht weil ich ihm schon mal ganz nahe war.
Was ist passiert?
Das ist ewig her, 1979 wurde ich in Montreux auf einem Fussgängerstreifen überfahren, die Hälfte meines Körpers war unter dem Wagen eingeklemmt. Aber ich spürte keinen Schmerz, sondern nur diese absolute Ruhe. Ich dachte, jetzt sterbe ich und hatte dabei ein solches Urvertrauen, ich fühlte mich total aufgehoben in einer Unendlichkeit, die schwer zu beschreiben ist. Ich weiss nicht, was von uns übrig bleibt beim Übergang vom Diesseits ins Jenseits. Aber ich hoffe, dass ich diese Geborgenheit spüren werde, wenn es für mich so weit ist.
Geboren im Zweiten Weltkrieg 1943 in Messkirch (D), wächst Heidi Maria Glössner in Niederuzwil SG auf. Um ihr Baby zu schützen, bringt Mutter Maria sie zu ihrer besten Freundin in die Schweiz. Nach dem Gymnasium verbringt Glössner Zeit in Hollywood und lernt Stars wie Dean Martin (1917-1995) kennen. Danach besucht sie die Schauspielschule in Zürich. Ab 1974 spielte sie am Luzerner Theater und von 1987 bis 2008 war sie Ensemblemitglied am Stadttheater Bern, wo sie noch immer Gastauftritte hat. Einem breiten Publikum wurde sie mit dem Film «Die Herbstzeitlosen» von 2006 bekannt. Sie ist Mutter eines Sohns und hat zwei Enkelinnen.
Geboren im Zweiten Weltkrieg 1943 in Messkirch (D), wächst Heidi Maria Glössner in Niederuzwil SG auf. Um ihr Baby zu schützen, bringt Mutter Maria sie zu ihrer besten Freundin in die Schweiz. Nach dem Gymnasium verbringt Glössner Zeit in Hollywood und lernt Stars wie Dean Martin (1917-1995) kennen. Danach besucht sie die Schauspielschule in Zürich. Ab 1974 spielte sie am Luzerner Theater und von 1987 bis 2008 war sie Ensemblemitglied am Stadttheater Bern, wo sie noch immer Gastauftritte hat. Einem breiten Publikum wurde sie mit dem Film «Die Herbstzeitlosen» von 2006 bekannt. Sie ist Mutter eines Sohns und hat zwei Enkelinnen.
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