Alain Tanner und seine legendäre «Groupe des 5» waren Wegbereiter des neuen Schweizer Films. Seine Biografie ist eng verwoben mit derjenigen des im Februar 2019 verstorbenen Regisseurs Claude Goretta. Die beiden Genfer gingen in den 1950er Jahren gemeinsam nach London an die Cinemathek. Auch der erste Film sollte ein Gemeinschaftswerk werden: «Nice Time» (1957), ein Kurzfilm über das Nachtleben im Londoner Viertel Piccadilly Circus, gewann in Venedig eine Auszeichnung als bestes experimentelles Kurzwerk.
Mit seinem düsteren Spielfilm-Debüt «Charles mort ou vif» über einen desillusionierten Genfer Fabrikanten, der sein gutbürgerliches Leben aufgibt, gewann Tanner 1969 auf Anhieb den Hauptpreis am Filmfestival Locarno.
Er verstand sich als Autorenfilmer, seine Drehbücher schrieb er immer selbst, oft innert zwei Wochen. Und manchmal entstand ein Film gar ohne Drehbuch: Die Handlung von «Dans la ville blanche» (1983) entwickelte der Filmemacher fortlaufend und gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller Bruno Ganz während der Dreharbeiten in Lissabon.
Die Drehorte waren für den Regisseur von grosser Bedeutung, er sei ein «Cinéaste de lieu», betonte Tanner wiederholt. Das Meer mag er - bevor er zum Film fand, fuhr er zur See - Berge mag er nicht, die Schweiz eigentlich auch nicht, Genf ebenso wenig. Und trotzdem blieb die Stadt stets sein Lebensmittelpunkt.
Schon als Student gründete Tanner den «Ciné-Club Universitaire» und 1968 zusammen mit Michel Soutter, Jean-Louis Roy, Jean-Jacques Lagrange (1971 nahm Yves Yersin seinen Platz ein) und Goretta das berühmte Produktionskollektiv «Groupe des 5".
Bald sollte er, der den Einfluss des grossen Jean-Luc Godard nicht verschweigt, Erfolge feiern als Filmer für das Westschweizer Fernsehen und als freier Regisseur. Ab Ende der 1960er Jahre bis 2004 drehte er unermüdlich alle zwei bis drei Jahre einen Kinofilm, 20 Spielfilme sollten es bis zu seinem letzten, «Paul s'en va» (2004), werden.
Nicht alle der Filme waren erfolgreich, doch neben «Charles mort ou vif» und «Dans la ville blanche» gehören «La Salamandre» (1971) und «Jonas, qui aura vingt-cinq ans en l'an 2000» (1976) heute zum Schweizer Kulturgut. Zahlreiche Auszeichnungen und Nominationen aus Locarno, Venedig, Cannes oder den USA krönten Tanners Schaffen.
(SDA)