Graphic Novel
Die Graphic Novel ist erwachsen geworden

Der Comic oder die Graphic Novel ist nicht einfach ein Bilderbuch für Erwachsene und auch nicht nur ein Kiosk-Heftli à la Superman oder Mickey Mouse. Die Graphic Novel ist die 9. Kunst, sagt David Basler, einer der Comic-Pioniere in der Deutschschweiz.
Publiziert: 16.12.2019 um 10:06 Uhr
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Aktualisiert: 16.12.2019 um 10:10 Uhr
David Basler, Mitbegründer der Edition Moderne, Verlag für Graphic Novels und Comics, posiert für ein Porträt am 3. Dezember 2019 in seinem Ateiler in Zürich.
Foto: CHRISTIAN BEUTLER

Zum Beispiel die drei «Stalag IIB"-Bände des Franzosen Jacques Tardi oder «Das Licht, das Schatten leert» von der deutschen Autorin Tina Brenneisen: Tardi erzählt die Geschichte seines Vaters im Gefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs und von dessen Schwierigkeiten, ein normales Leben nach dem Krieg aufzubauen; Brenneisen setzt sich mit dem schwierigen Thema Totgeburt auseinander.

«Ich bin unglücklich über den Begriff Comic», sagt David Basler im Gespräch. Der Begriff suggeriere etwas Lustiges, aber gerade die angeführten Beispiele behandeln Themen, «die überhaupt nicht lustig sind".

Auch die Bezeichnung Graphic Novel befriedigt Basler nicht ganz. «Das ist ein Marketingbegriff aus den USA der 1990er Jahre.» Immerhin mache der Begriff deutlich, dass es um ein Buch gehe. Es könne unbeschränkt dick sein und vor allem werde der Bezug zu einer Autorin, einem Autor deutlich.

«Die Graphic Novel ist die 9. Kunst», mit dieser Bezeichnung identifiziert sich Basler am ehesten. Er bezieht sich darauf, dass zu den Kunstformen Malerei, Bildhauerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie, Film und Text eine weitere hinzugekommen ist. Die Bezeichnung stehe dafür, dass Text und Bild eine Einheit bilden, und zwar so, dass das eine Element nicht ohne das andere bestehen kann. «Mit dem Bild haben Graphic Novels eine weitere Ebene, wobei das Narrativ wichtiger als das Bild ist», sagt Basler.

Der Gewinn beim Lesen einer Graphic Novel sei, dass im Idealfall zwei Geschichten erzählt würden, «wie in einem Film mit Off-Text". Nach der Lektüre sollte der Leser nicht mehr wissen, ob «er einen Film gesehen oder eine Graphic Novel gelesen hat», erklärt Basler.

1981 hat Basler zusammen mit drei Kollegen den Verlag «Edition Moderne» gegründet. Bis heute ist das der einzige Verlag für Graphic Novels in der Deutschschweiz. Wenige Jahre später kam die Gründung des heute internationalen Comic-Magazins «Strapazin» hinzu.

Als 1982 bei «Edition Moderne» der erste Comic-Band «Zig Zag Zoug» erschien, war die Deutschschweiz, was Graphic Novels anbetrifft, ein Entwicklungsland. Comics fristeten ein kümmerliches Dasein in den Schmuddelecken einiger weniger Buchhandlungen oder waren als kommerzielle Massenware, zumeist Superhelden- oder Mickey-Mouse-Hefte aus den USA, am Kiosk zu haben.

Inspiriert war Basler damals von der französischen Tradition, nach einem Aufenthalt in Paris, das in den 1970er Jahren zu einer der Metropolen des Comics geworden war. Heute sitzt Basler in den Räumen von «Strapazin» und der «Edition Moderne», ein loftähnliches Stockwerk in einem Hinterhof, im Zürcher Industriequartier in der Nähe der Hardbrücke.

Es läuft Musik, etwa ein Dutzend Frauen und Männer sitzen an Schreibtischen zwischen Papierstapeln und Kaffeetassen, hinter Bildschirmen mit Zeichnungen, an der Decke ein alter Kronleuchter, an den Wänden Metallregale mit Laufmetern von Graphic Novels, Pappkartons und Altpapier auf dem Fussboden. Es herrscht kreatives Chaos. Basler hat inzwischen die Leitung von «Edition Moderne» abgegeben und arbeitet als Angestellter für seinen Verlag.

Er blickt zurück auf ein Leben, in dem er seine Leidenschaft zur Profession gemacht hat. Basler, er ist Mitte 60, hat die Entwicklung der Graphic Novel von den subversiven, politisch unkorrekten Anfängen bis zur heutigen kulturellen Anerkennung mit vollzogen.

Bereits in den 1970er Jahren haben Pioniere wie Jacques Tardy oder der Amerikaner Robert Crumb Comics vorgelegt, die den Einfluss der 1968-Bewegung oder des US-amerikanischen Underground deutlich machten, indem sie etwa Sex und Gewalt thematisierten. Baslers Anliegen war, Comics aus Frankreich dem deutschsprachigen Publikum bekannt zu machen.

Das ist ihm gelungen: Der Verlag «Edition Moderne» und vor allem seinen Bücher finden Unterstützung. So fördert das Bundesamt für Kultur den Verlag seit 2016 strukturell. Oder: Autorinnen und Autoren werden von diversen Institutionen mit Werkjahren unterstützt. Und: Die Stadt Zürich hat David Basler für besondere kulturelle Verdienste ausgezeichnet. Den mit 20'000 Franken dotierten Preis hat er am 29. November entgegengenommen. «Für mich ist das die Krönung meines Lebenswerks, weil die Auszeichnung zeigt, dass die Graphic Novel als Medium zwischen Literatur und visueller Kunst anerkannt ist.»

Das verlegerische Engagement von David Basler hat massgeblich dazu beigetragen, dass die Graphic Novel auch in der Deutschschweiz aus der einstigen Schmuddelecke heraus getreten ist. Das belegt zumindest die Wahrnehmung der Gattung in der Kulturberichterstattung: Schweizer Radio und Fernsehen SRF widmen sich heute der Gattung; aber auch im gesamten deutschsprachigen Raum tauchen diese Bücher bei 3Sat oder Arte im Fernsehen und sogar im Feuilleton der liberalen «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» auf. Darüber hinaus geben grosse Verlage wie Suhrkamp oder Rowohlt Graphic Novels heraus - «vor zwanzig Jahren wäre das undenkbar gewesen», kommentiert Basler.

Von internationaler Bedeutung ist darüber hinaus, dass der amerikanische Autor und Zeichner Nick Drnaso für seinen «Sabrina"-Comic 2018 für den Booker-Prize nominiert worden ist, den wichtigsten britischen Preis für englischsprachige Literatur.

Doch der Markt hinkt diesen Erfolgen bis anhin hinterher. Beim Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV, der jährlich einen Marktreport vorlegt, gibt es keine Zahlen - weder zum Comic noch zur Graphic Novel. David Basler räumt ein, dass der Markt noch sehr klein ist: «Warum das so ist, weiss ich auch nicht.» Aber er gibt sich überzeugt: «Die Graphic Novel ist ein Wachstumsmarkt. Das Interesse der Konsumenten wächst.»

Verfasserin: Andrea Fiedler, ch-intercultur

(SDA)

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