Ganz hinten in der Gaststube, am runden Tisch, sitzt ein Mann und schweigt. Vor ihm ein Glas Wein. Wenn jemand zu ihm an den Tisch tritt und fragt, ist hier frei, blickt er hoch und nickt. Nach ein paar Minuten vielleicht sagt er zum neuen Gast: «Kennen Sie Peter Lehner? Das war noch ein Dichter.»
So beginnen Bichsel-Geschichten. Jene, die er selbst erzählt, und jene, die über ihn erzählt werden. In all den Jahren sind viele an den runden Tisch getreten. Peter Bichsel hat genickt, freundlich.
Auch ich habe dies eines Tages getan und gefragt, ob hier frei sei und mich hinzugesetzt. Das hat sich wiederholt - bis wir eines Abends über seine verstreut erschienenen frühen Texte gesprochen haben.
Mythos und Wirklichkeit sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb ist Vorsicht am Platz, wenn von Peter Bichsel die Rede ist, wie er hinter einem Glas Wein in der Beiz sitzt. Das ist so wahr wie ein Mythos, dem er selbst nicht widerspricht.
Tatsächlich liebt er Geschichten, die am Stammtisch entstehen. In dieser Form klingen sie, als seien sie nach dem Leben erzählt. Als Lesende hören wir zu, nicken und sagen: Genau, so ist es.
Peter Bichsel zählt zu den wenigen Autoren, die an einem einzigen Satz zu erkennen sind. Zum Beispiel: «Ein Betrunkener hebt seinen Kopf, schaut mich an, sagt, ich erzähle dir alles, und schweigt.» Nichts klingt so leicht und einfach wie eine Geschichte aus seiner Hand.
Die Wahrheit ist, dass es nichts Schwierigeres gibt als zu erzählen und dazu zu schweigen, wie Peter Bichsel es tut. Beides gehört zusammen und für beides braucht es Mut, erst recht in geschwätziger Zeit. Diesen Mut brachte er schon immer auf.
Vielleicht steckt Peter Bichsels Geheimnis darin, dass er das eigene Schreiben immer auch in Zweifel zieht und seine Leserinnen und Leser an diesem Zweifel teilhaben lässt. Die Titelgeschichte im Buch «Zur Stadt Paris» (1993) veranschaulicht es trefflich. Sie geht so: «In Langnau im Emmental gab es ein Warenhaus. Das hiess Zur Stadt Paris. Ob das eine Geschichte ist?» Diese Frage schwingt in allen seinen Büchern mit.
All seine Prosa verbindet die unmissverständlich abwägende Art seines Schreibens. Peter Bichsel ist ein gewiefter Erzähler, der seiner Leserschaft das gute Gefühl gibt, ernst genommen zu sein. Wir erfahren von ihm die Wahrheit ohne jede Rechthaberei. So könnte es gewesen sein, oder genau umgekehrt.
Dies zeichnet auch die frühen publizistischen Texte aus, darunter Kolumnen, Reden und politische Beiträge, die dem jungen «Lehrer aus Zuchwil» von der Weltwoche vertrauensvoll übertragen wurden.
Von sich selbst sagt Peter Bichsel, dass er kein leidenschaftlicher Schriftsteller sei. Er kann leben, ohne zu schreiben. Genau das tut er auch schon seit Jahren kaum mehr. Aber er ist ein leidenschaftlicher Erzähler. Darum geht es.
Entsprechend schlau musste ich argumentieren, als ich ihn am runden Tisch überzeugen wollte, dass seine frühen Texte noch immer lesenswert seien. Vielleicht hätte er lieber zu einem neuen Buch von Peter Lehner ja gesagt. Nun ist es eines von ihm geworden: ein Band voll geistesgegenwärtiger Geschichten, die verblüffend jung geblieben sind wie ihr Autor selbst.*
*Dieser Text von Beat Mazenauer, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt- Stiftung realisiert
(SDA)