Fux über SRF-«Liebesleben»
Zum Sex gibts in der Schweiz Süsses

Tiefe Einblicke, bewegende Schicksale, rührende Zeichen der Zuneigung – die SRF-Show «Liebesleben» geht ans Herz und macht fast alles richtig.
Publiziert: 20.05.2016 um 09:16 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:10 Uhr
Caroline Fux
Caroline FuxBlick-Sexologin

Die Sendung startet mit dem obligaten Gekicher. Denn wenn Passanten vor einem Fernsehteam plötzlich offen über ihr Sexualleben reden sollten, ist das nun mal irgendwie schräg. «Liebesleben» legt aber zum Glück zackig diese erste Verlegenheit ab. Moderatorin Eva Nidecker findet schnell einen Draht zu den Männern und Frauen und findet sofort den richtigen Ton: Herzlich, offen, einfühlend, aber dennoch nie klebrig nah oder zwangsentspannt.

Der Schwerpunkt dieser ersten von drei Sendungen liegt auf dem berühmten ersten Mal. Ein kluger Einstieg und ein gutes Sprungbrett für die Protagonisten.

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Bei Barbara (l.) und Christa gibts Cupcakes zum Sex-Gespräch.
Foto: Screenshot SRF

Prickelnd klingt die Erinnerung von Andi, der noch vor seinem vierzehnten Geburtstag an der Cote d'Azur von einer über dreissig Jahre alten Poolschönheit verführt wurde. Während er sich an ihr «doucement» erinnert geht irgendwie unter, dass man vielleicht kommentieren müsste, dass so eine Begegnung nicht ganz unproblematisch ist. Aber das wäre wohl nur dann aufgefallen, wenn Andi ein noch nicht mal vierzehnjähriges Mädchen und seine Verführerin ein mehr als doppelt so alter Mann gewesen wäre.

Dank Tantra und Slow Sex zum Glück

Auf Andi folgen Esther und Klaus. Das ältere Paar hat eine bewegte sexuelle Geschichte hinter sich. Seit über 55 Jahren ein Paar, waren die beiden praktisch ihr ganzes Leben lang sexuell überhaupt nicht kompatibel. Er hätte am liebsten ständig, sie gar nie. «Wir wussten halt nicht, das wir da komplett verschieden sind», fasst Klaus zusammen. Die beiden erzählen, wie auf Klaus der Verzicht lastete und auf Esther die Scham. «Mir hat das so leid getan, dass ich dem nicht entsprechen konnte, was man von einer Frau erwartet.» Erst nach viele Ehejahren begannen die beiden miteinander über ihre Sexualität zu sprechen. Sie öffneten ihre Beziehung, was beide entlastete.

Zu einer gemeinsamen Sexualität haben die beiden doch noch gefunden. Sie entdeckten Tantra und plötzlich funkte es zwischen den beiden auch im Bett. Slow Sex, Soft Penetration, Fühlen, statt leisten. Jetzt leben die beiden eine erfüllte Sexualität, obwohl Klaus seit vielen Jahren keine Erektion mehr bekommen kann. «Wir finden uns in der Berührung mit Herz, Hand und Mund», sagt Esther.

Nur zwei Prozent der Schweizerinnen stehen ausschliesslich auf Frauen

Über den Bildschirm flimmern Schlaglichter aus der Schweizer Sex-Statistik. Alles unaufgeregt, alles, naja, durchschnittlich, wie das bei Statistiken halt so ist.

Weiter gehts mit dem lesbischen Paar Christa und Barbara. Man erfährt: Nur 2 Prozent der Schweizerinnen stehen ausschliesslich auf Frauen. Die beiden erzählen über ihr Zusammenleben und ihre sexuelle Orientierung, über das, was sie geniessen. Ihrer Sehnsucht, dass sie gerne heiraten würden, statt sich nur zu verpartnern. Ein Versprechen vor Gott, mit allem was dazu gehört und zwei weissen Brautkleidern. Auch hier stellt Eva Nidecker die richtigen Fragen, spricht aus, was wunder nimmt. Sie fragt nach, wo es brennt, bleibt aber betont im Hintergrund.

Es ist angenehm, dass in «Liebesleben» keine Experten zu Wort kommen. Die Geschichten der Menschen stehen für sich, sie brauchen keine Bewertungen. Hier geht es ums Erzählen und nicht ums Erklären.

Gefühlsexplosion und Verschmelzung

Beim letzten Paar, Nadja und Robin, das als einziges zum Sex nichts Selbstgebackenes serviert, sprühen auch nach dreieinhalb Jahren die Funken. Die beiden sind sichtlich verliebt und gehen in ihrer Beziehung und ihrer Sexualität auf. Es sei eine Beziehung auf einer anderen Ebene. Die Rede ist von einer Gefühlsexplosion und Verschmelzung. Der Orgasmus gehört für Nadja dazu. Für Robin nicht unbedingt, aber dann realisieren die beiden, dass es eigentlich noch gar nie vorgekommen sei, dass einer von ihnen keinen Orgasmus hatte.

Wäre der Moment für eine Experten gekommen, wenn Nadja überzeugt erklärt, dass es am besten klappt, wenn die Frau oben sei? Weil das würden auch ihre Freundinnen sagen und der Bekannte in Indien, der der Frau beim oft gestörten Sexualchakra zum Aufsitzen rät? Vielleicht. Aber «Liebesleben» bleibt konsequent und lässt das Erzählte einfach stehen. Und das ist ok so. 

Auch wenn man den Höhenflug dem sympathischen dritten Paar absolut abnimmt, gerät die Sendung kurz vor Schluss vor lauter Positivität ein bisschen ins Schlingern. Wie fühlt sich die Show für die Zuschauer an, die mit ihrer Sexualität kämpfen? Denen Gefühlsexplosionen, Verschmelzung und Happy End bisher vorenthalten blieben? Das wahre Tabu bleibt eben doch die sexuelle Mittelmässigkeit.

Liebesleben glänzt darin, zu zeigen, wie schön, wunderbar und vielseitig Sexualität sein kann. Man freut sich auf die nächste Folge, die nächsten Protagonisten, die nächsten Geschichten. Für viele Zuschauer dürften die Erwartungen an Sex an diesem Abend allerdings wieder ein bisschen grösser geworden sein. Vielleicht auch die Trauer oder die Ratlosigkeit darüber, dass man der eigenen Gefühlsexplosion noch nicht auf die Spur gekommen ist.

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