«Nichts Neues», «Gähn!», «Alles schon gehört» – viele der Kommentare zur ersten Folge der neuen SRF Show «Liebesleben» trieften vor demonstrativer Langeweile und Abgeklärtheit. Mich lassen die Bemerkungen seufzen. Ich mag als Psychologin ein überdurchschnittliches Interesse an persönlichen Geschichten haben. Aber mir ist es dennoch ein Rätsel, wie man Menschen und ihre Erlebnisse derart in einen Topf werfen kann, dass man die Erzählungen der Protagonisten aus der ersten Folge banal und langweilig finden konnte.
Sexthemen kommen heute bei vielen Leuten leider nur noch an, wenn Aufreger auf Aufreger folgt. Ein abgefahrener Fetisch pro Folge ist Pflicht, oder dann doch wenigstens ein Besuch im Flatrate-Puff, damit man zu Hause auch schön glotzen und sich fremdschämen kann. Auch von der Moderatorin oder dem Moderator wird ein Minimum an sexueller Freakshow erwartet. Wie, wenn nicht mit persönlichem erotischen Einsatz, sollte die Person das Thema standesgemäss begleiten können?
Dabei geht es nicht darum, jeglichen Voyeurismus zu verdammen. Beiträge über Sex dürfen auch mal plakativ unterhalten und staunen lassen, genau wie das für andere Themen auch gilt. Abenteuerlust ist willkommen, aber bitte keine Skandalsucht. Wer sich nur noch auf eine überdrehte Berichterstattung einlassen kann, verpasst die wirklich lehrreichen Geschichten und die wirklich bewegenden Momente.
Die Zeiten, in denen klassische Tabubrüche das wichtigste Mittel auf dem Weg zu sexuellem Glück waren, sind vorbei. Es ist Zeit, der Sexualität Raum zu geben, die für die Mehrheit der Leute tatsächlich relevant ist. Und die lebt nicht nur von Extremen, sondern von Authentizität, Neugier und Umsicht.
Das grösste Tabu im Bereich der Sexualität ist heute für viele, zuzugeben, dass sie etwas nicht kennen, nicht können oder nicht «easy» finden. Wer sich überhaupt zu Sexthemen äussert, will zeigen, dass er den andern weit voraus ist. Transgender-Pornos? Klar, auch schon reingezogen. Monogamie? Ein langweiliger Beziehungskiller. Für Sex Liebe brauchen? Wie rückständig.
Heute kann man spielend die eigene Sexualität hinter einer Fassade aus Pseudo-Aufgeklärtheit und Porno-Schick verstecken, weil diese extreme oder manipulierte Sexualität in der Öffentlichkeit unglaublich viel Raum einnimmt. Aber wer sich der Realität nicht stellt und sich nur auf Extremes einlassen kann, fällt in einer echten Sexbeziehung früher oder später auf die Nase.
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