2015 brachte er das Jugenddrama «Chrieg» in die Kinos und räumte damit mehrfach Preise ab. Nun veröffentlicht der Basler Regisseur Simon Jaquemet (40) mit «Der Unschuldige» seinen zweiten Film. In der Titelrolle: der Berner Laien-Schauspieler Thomas Schüpbach (53). Doch dieser ist alles andere als unschuldig. «Ich habe eine ziemlich krasse Vergangenheit», sagt er und gesteht: «Alles in allem sass ich rund neun Jahre im Knast.»
Grund: Schüpbach war fast zwanzig Jahre lang schwer drogenabhängig. Um die Sucht zu finanzieren, hat er Hunderte Einbrüche begangen. «Ich habe täglich tausend Franken für Kokain verpufft», erinnert er sich. Fast jede Nacht sei er mit der Brechstange unterwegs gewesen, habe Arztpraxen, Büros und Gewerbehäuser ausgeraubt. «Ich war ein wirklich übler Kerl.»
Endlich restlos glücklich
Schon Schüpbachs Kindheit war eine Tragödie: Der Stiefvater misshandelt ihn. «Körperliche und psychische Gewalt waren an der Tagesordnung.» Trotzdem schafft er es, in Thun BE eine Malerlehre zu machen. Er verliebt sich und heiratet. «Das war die schönste Zeit meines Lebens», sagt er rückblickend. «Ich fühlte mich endlich restlos glücklich.»
Doch mit 30 verlässt ihn die Frau. Schüpbach ist verzweifelt, nimmt zum ersten Mal Kokain. Die Droge hat ihn sofort im Griff. «Ich begann, ihr alles unterzuordnen, verlor bald meinen Job und machte dann meinen ersten Einbruch.» Dreimal wird er in den folgenden Jahren von der Polizei erwischt – und landet jedes Mal in der Strafanstalt Witzwil in Ins BE.
2014 kommt Schüpbach das letzte Mal frei. Und er schwört sich: Nie wieder Drogen! «Obwohl jeder Tag ein Kampf ist, hat es bislang funktioniert», sagt er heute. Auch weil er weiss: Noch einen Absturz würde er nicht überleben. Das habe ihm der Arzt gesagt. «Und der muss es ja wissen.»
Dank Bewährungshelfer beim Film
Doch wie landete der Ex-Knacki schliesslich im Kino? Von seiner Bewährungshelferin wird Schüpbach auf den Film «Der Unschuldige» aufmerksam gemacht. Sie ist von Regisseur Simon Jaquemet zwecks Recherchen kontaktiert worden. Der Filmneuling, der inzwischen auch wieder einen festen Job als Maler und Gipser gefunden hat, bekommt prompt die Rolle. «Auch wenn Thomas keine schauspielerische Erfahrung hat, wirkt er durch seine Ausstrahlung im Film extrem glaubwürdig», schwärmt Jaquemet. «Er macht den Film umso sehenswerter!»
«Der Unschuldige» feierte Anfang September als erster Schweizer Film überhaupt am renommierten Filmfestival in Toronto (Kanada) Weltpremiere. Kurz darauf wurde er auch am Festival San Sebastian (Spanien) bejubelt. Als eher introvertierter Typ sei er sich auf dem roten Teppich schon etwas deplatziert vorgekommen, sagt Thomas Schüpbach. Anderseits habe ihm die Filmerei wahnsinnig viel Freude bereitet. Und das sei mehr, als er nach den letzten 50 Jahren seines verkorksten Lebens habe erwarten dürfen. Glücklich macht ihn auch, dass er vor kurzem seinen richtigen Vater kennenlernen durfte. «Das gibt mir zusätzlich Kraft, meinen Alltag im Griff zu halten.»