«Männer brauchen Emanzen»
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Doppelinterview:«Männer brauchen Emanzen»

Federica De Cesco (80) und Tamara Cantieni (45) im Frauen-Gespräch
«Männer brauchen Emanzen»

Welchen Herausforderungen müssen sich Frauen heute stellen, sollen sich Männer ebenfalls emanzipieren, und wie machen wir junge Mädchen stark? Star-Autorin Federica de Cesco und Komikerin Tamara Cantieni geben Antworten in unserem Doppel-Interview.
Publiziert: 07.03.2019 um 23:08 Uhr
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Aktualisiert: 11.11.2022 um 14:14 Uhr
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Appellieren an das Selbstbewusstsein der Frauen: Bestsellerautorin Federica de Cesco (l.) und Schauspielerin Tamara Cantieni.
Foto: Anja Wurm
Patricia Broder (Interview), Anja Wurm (Fotos)

Ein wunderschöner Vorfrühlingstag in Luzern. Mit strahlendem Lächeln und festem Händedruck empfängt uns Federica de Cesco (80) bei sich zu Hause. Kaum setzen sich die Bestseller-Autorin und die Komikerin Tamara Cantieni (45) an den runden Holztisch, serviert de Cescos Ehemann, Fotograf Kazuyuki Kitamura (72), Tee und Kaffee. Ein emanzipierter Mann zum Doppelinterview am Tag der Frau.

BLICK: Wie ist es heute, eine Frau zu sein?
De Cesco: Gut und normal. Ich habe mich nie benachteiligt gefühlt, auch als Mädchen oder junge Frau nicht. Wenn mich einer blöd angemacht hat, hab ich es entweder gar nicht bemerkt oder auf italienische Weise reagiert mit explosiver Aggressivität, sodass der Mann erschrocken zurücksprang. Nein, im Ernst: Ich hatte das Glück, dass meine Eltern genauso weltfremd waren wie ich. Sie haben mich einfach machen lassen.
Cantieni: Ich kann Frau de Cesco nur beipflichten. Ich bin auch gerne eine Frau, oder noch besser: Ich bin gerne ich. Allerdings bin ich froh, heute eine Frau zu sein und nicht vor 500 Jahren – damals war es wohl nicht so lustig.
De Cesco: Ja, heute ist es besser für uns.

In einem BLICK-Interview sagten Sie einst, Sie würden sich um die jungen Frauen und insbesondere die Feministinnen sorgen. Die seien heute sehr naiv …
De Cesco: Ja! Ich mache mir heute mehr denn je Sorgen um die Frauen. Es findet eine Rückkehr zu konservativen Werten statt, die dringend Gegenwehr benötigt. Frauen müssen wieder mutiger und selbstbewusster werden.
Cantieni: Unbedingt. Viele junge Mädchen machen sich heute dümmer, als sie sind. In den sozialen Medien sind Schminkanleitungen die meistgeklickten Videos, und die jungen Mädchen lieben sie. Das macht mir Angst. Junge Frauen reduzieren sich damit selbst auf ihr Äusseres.
De Cesco: So schlimm.
Cantieni: Auf der anderen Seite muss ich sagen: Ich bin ja auch gerne schön. Es ist ein Teufelskreis. Ich habe eine hübsche 15-jährige Tochter. Ihr Aussehen ist ein Segen, andererseits auch ein Fluch. Denn junge Mädchen gewöhnen sich schnell daran zu gefallen.

Was empfehlen Sie beide als Mütter von Töchtern anderen Müttern – wie macht man Töchter stark und emanzipiert?
De Cesco: Indem man ihr Selbstbewusstsein stärkt. Ich habe das Glück, dass meine Tochter sehr kreativ und eigenwillig ist. Um Künstler braucht man sich keine Sorgen zu machen, die haben ihre innere Welt und lassen sich nicht auf die Füsse treten.
Cantieni: Ich glaube, man sollte seinen Kindern einfach vorleben, frei und stark zu sein. Ich habe meine Eltern zum Beispiel nie nackt gesehen und fand ihr Verklemmtsein immer komisch. Deshalb bin ich wohl möglichst freizügig.
De Cesco: Dann läufst du also bei dir daheim «füdliblutt» rum?
Cantieni: Ja (lacht). Meine Kinder schreien dann: «Zieh dir was an! Da draussen sind Leute.» Doch mir ist wichtig, dass meine Kinder unbeschwert und frei aufwachsen und sich in ihrem Körper wohlfühlen.
De Cesco: In dieser Hinsicht ist die japanische Kultur toll. Da wird zum Beispiel die Periode der Frau verehrt – die ist dort sogar heilig.
Cantieni: Ist das schön! Das wünsche ich mir auch für meine Tochter und alle jungen Mädchen. Ich habe das Gefühl, manche von ihnen gehen heute verklemmter mit ihrem Körper um als noch zu meiner Zeit. Wir haben uns damals nicht so geschämt.
De Cesco: Wir auch nicht. Wir haben auch die Zeit der Hippies und der freien Liebe erlebt.

Sie waren ja auch quasi eine Feministin der ersten Stunde. Sie haben mit Ihren Jugendbüchern mehrere Generationen von jungen Mädchen berührt und ihnen starke Frauenfiguren geschenkt.
De Cesco: Ja, und das macht mich heute stolz und froh. Denn ich habe es nicht bewusst für die anderen gemacht, sondern für mich selbst. Mich hat es in meiner Jugend sehr geärgert, dass bei spannenden Geschichten immer nur Jungs die Helden waren. Also dachte ich mir, ich schreibe jetzt eine Geschichte, in der ein Mädchen die Heldin ist.

Sie waren ja auch sonst unangepasst und trugen in der Schule als einziges Mädchen Hosen.
De Cesco: Ja, weil es bequemer war. Und als es noch keine Hosen gab, trug ich Shorts.

Haben Sie mit Ihrer Rebellion auch gerne provoziert? Sie haben ja mal in Minirock und roten Stiefeln gekleidet eine Lesung im Kloster Einsiedeln abgehalten, bis ein Pater Ihnen entgeistert seinen Mantel angeboten hat.
De Cesco: Stimmt! (lacht). Aber ich hatte damals keine Ahnung, wo mich meine Lesetour hinführt. Plötzlich war ich in diesem Kloster. Der Pater ist mir dann tatsächlich nachgerannt und hat mir seinen Mantel hingehalten. Er war etwas verzweifelt, aber sehr nett.
Cantieni: Das glaube ich. Sie sind eine schöne Frau – haben Sie auch mit Ihrer Attraktivität gespielt?
De Cesco: Bestimmt habe ich mein Aussehen manchmal auch eingesetzt. Es kam allerdings auf das Vis-à-vis an. Ich habe hübsche junge Männer immer sehr gern gehabt.

Wie gehen Sie beide heute im Zeitalter von #MeToo als Frau mit Anmache und Flirts um?Cantieni: Ich hatte noch nie Verständnis für plumpe Anmache. Wenn mir mein eigener Mann nach zwei Flaschen Wein sagt: «Lass uns vögeln», ist das super. Aber nicht, wenn mir das ein Fremder auf der Strasse sagt.
De Cesco: Ganz genau! Ich glaube allerdings, seit #MeToo sind die Männer auch sehr verunsichert. Viele wissen nicht mehr, was sie noch tun dürfen. Und ich glaube, viele Frauen gefallen sich auch in der Rolle der Gefallenden. Jackie Kennedy zum Beispiel. Es gibt so viele Bilder, auf denen sie ihren John F. anschmachtet. Obwohl sie intelligent war, wollte sie das Frauchen sein. Ein Verrat an sich selber.
Cantieni: Aber nicht nur. Es gibt Frauen, die gehen in dieser Rolle auf. Wenn sie frei gewählt ist, ist es doch wunderbar. Das darf man doch. Meine Mutter gefiel sich in der Rolle der sich fügenden Frau, während mein Vater alles für sie entschied. Das fand sie gut und männlich.

Müssen sich die Männer heute genauso emanzipieren?
De Cesco: Ja. Ein idealer Mann ist ein emanzipierter Mann – wie meiner, der Ihnen den Kaffee serviert. Wir müssen uns alle von den Stereotypen lösen. Weg von vorgefertigten Rollen.
Cantieni: Eigentlich ist die Frauenrolle ja eine Illusion. In erster Linie sind wir Körper und Seele. Alles andere sind anerzogene, gelernte Rollen. Ich könnte mir auch vorstellen, ein Mann zu sein.
De Cesco: Oh, ich auch!

Wären Sie als Mann ein Frauenheld?
De Cesco: Unbedingt, mit dem grössten Vergnügen. Aber ein Feminist noch dazu.

Heute werden ja Begriffe wie Feminismus oder Emanzen wieder als Schimpfwörter benutzt.
De Cesco: Schlimm. Dabei brauchen die Männer Emanzen! Ich verstehe vor allem nicht, wie Frauen diese Begriffe als Schimpfwörter benutzen können.
Cantieni: Genau, ich würde mir wünschen, dass gerade Frauen sich mehr unterstützen und fördern. Und Männer sollten nicht denken, dass wir ihnen damit etwas Böses wollen. Wir wollen bloss dieselben Rechte und Pflichten haben – wir sind alles Menschen.
De Cesco: Ganz genau. Feministische Werte und Rechte sind menschliche Werte und Rechte. Sie sind für die Entwicklung der Menschheit lebensnotwendig. Solange wir Frauen nicht gleichberechtigt sind, sind wir als Gesellschaft nicht komplett entwickelt, sondern stecken in den Kinderschuhen.

Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft und der Politik für die Frauen heute?
De Cesco: Dass arbeitende Mütter nicht mehr als Rabenmütter bezeichnet werden und wir Frauen endlich denselben Lohn wie die Männer erhalten. Wir müssen die Verkrustung der Stereotypen lösen. Wir brauchen auf allen Gebieten mehr Frauen – auch im Bundesrat, da reichen drei Frauen nicht. Es sollten unbedingt noch zwei dazukommen.

Haben Sie jemals überlegt, in die Politik einzusteigen?
De Cesco: Das habe ich. Doch ich bin als Politikerin ungeeignet, denn ich nehme kein Blatt vor den Mund. Ich bin wohl zu ehrlich und zu sarkastisch.
Cantieni: Ich würde Sie sofort wählen!
De Cesco: Danke. Aber ich bleibe wohl besser Schriftstellerin.

Und die jungen Frauen mit Ihrer Politik erreichen, indem Sie ein neues Jugendbuch schreiben im Zeitalter von #MeToo?
De Cesco: Ja, das hab ich mir auch überlegt – das mach ich vielleicht tatsächlich noch.

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