Sie sind nur der «Sieger der Herzen» in Deutschland, doch The Roop aus Litauen wären auch würdige Sieger des regulären Eurovision Song Contest gewesen. Die minimalistische Band um den schmächtigen Sänger Vaidotas Valiukevicius verhalf der im Schweizer Fernsehen ausgestrahlten Alternativshow der ARD qualitativ zum Sieg über Stefan Raab. Denn während die Sendung mit Barbara Schöneberger echtes ESC-Gefühl brachte, zeigte Raab einen albernen ESC-Abklatsch.
Als sich kurz nach der Absage des ESC-Finales in Rotterdam Stefan Raab zu Wort meldete und einen neuen Wettbewerb namens «FreeESC» ankündigte, wirkten die Verantwortlichen in der ARD zunächst wie in Schockstarre. Doch davon haben sie sich schnell erholt, was zu einer harten Konkurrenz führte: Hier der beim jungen Publikum beliebte Raab mit seinem neuen Wettbewerb auf ProSieben, dort ein eigenes ESC-Finale mit den echten ESC-Teilnehmern.
Den Vorteil, Länder zu zeigen, die auch wirklich in Rotterdam auf der Bühne gestanden hätten, spielte Moderatorin Barbara Schöneberger genüsslich aus. In ihrem Begrüssungs-Medley verpasste sie ihrem Konkurrenten mit Hilfe von Abba einen Seitenhieb: «The winner takes it all, der Raab is standing small, wir sind das Original, der ESC genial.»
Dies zeigten dann auch die zehn Teilnehmer des Finales: Die coolen The Roop aus Litauen, Island mit seinem 2,08 Meter grossen Sänger, Texter und Komponisten Daoi Freyr Petursson und dem lässigen «Think about things» oder das dänische Duo Ben & Tan legten in der Elbphilharmonie starke Auftritte hin, sie hätten auch in Rotterdam bei einem echten Finale vermutlich gut gepunktet.
Ähnliches kann man vom Schweizer Teilnehmer Gjons' Tears behaupten, der mit seiner Ballade «Répondez-moi» gemäss Wettbüros auf den ersten Plätzen hätte landen können, wie der Schweizer Kommentator Sven Epiney einwarf.
Es wirkte da nicht nur wie Lobhudelei für das eigene Produkt, als Schöneberger über die Teilnehmer sagte, «das ist ein starker Jahrgang» und ihr der seit Ewigkeiten den Wettbewerb kommentierende Peter Urban mit den Worten «wirklich ein starker Jahrgang» beisprang.
Dagegen wirkte das, was ProSieben zeigte, trotz vieler Originalbestandteile wie eine ziemlich müde ESC-Kopie. Denn trotz verschiedener Teilnehmerländer und Jurys in verschiedenen Ländern tat Raab als Produzent lediglich so, als veranstalte er einen internationalen Wettbewerb.
Tatsächlich traten fast ausschliesslich in Deutschland beheimatete Künstler auf, die irgendwelche familiäre Verbindungen zu den Ländern haben, für die sie starteten - die Juroren waren ähnlich ausgewählt. So durfte der deutsche Fussballer Lukas Podolski aus der Türkei, wo er derzeit spielt, für sein Geburtsland Polen Punkte vergeben.
Bei den Musikern gewann der gebürtige Bremer Nico Santos für Spanien - immerhin ist der Sänger auf Mallorca aufgewachsen. Die Walliser Sängerin Stefanie Heinzmann holte mit «All We Need Is Love» für die Schweiz den 7. Platz.
Aber vermutlich verstand Raab seinen neuen Wettbewerb von Anfang an als Karrikatur des Originals. So kam kurzfristig ein neues «Land» dazu, nämlich der Mond, vertreten durch einen anonym gebliebenen Astronaut. Womöglich ein Gag darüber, dass der ESC Australien als Teilnehmer zulässt.
(SDA)