Ob nach langer Krankheit, wo die Auseinandersetzung mit dem Tod gegeben ist, oder nach einem plötzlichen Herzinfarkt: Wenn jemand stirbt, den man liebt, so versetzt einen das in einen Ausnahmezustand. Was brauchen wir dann? Schweigen? Viel darüber sprechen? Oder ist es die Ablenkung, die uns hilft, mit dem Tod des geliebten Menschen fertigzuwerden? Anja Niederhauser (40), studierte Theologin, Psychologin und Trauerbegleiterin, spricht im BLICK über den richtigen Umgang mit Trauer.
BLICK: Frau Niederhauser, wie trauert man am besten?
Anja Niederhauser: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Trauer äussert sich individuell, und nicht für jeden ist dasselbe gut. Grundsätzlich kann man sagen, dass eine Balance aus aktiver Trauer und Ablenkung wichtig ist und vor allem, dass der oder die Trauernde für sich selbst sorgt: genug schläft, genug isst und versucht, sich zu entspannen.
Was ist wichtig, wenn man trauert?
Sich Zeit nehmen für sich selbst. Sich Ruhe gönnen. Aufschreiben oder darüber sprechen, was einen bewegt. Das Thema Trauer wird nach wie vor unterschätzt und tabuisiert. Ich setze mich dafür ein, dass man darüber spricht – auch nach einem, drei oder zehn Jahren. Man muss akzeptieren, dass man eine Zeit lang nicht funktioniert. Trauer betrifft uns als Menschen ganz: die Psyche, den Körper, das Denken. Sie kann sich in ganz verschiedenen Symptomen äussern: vom Bauchweh über Schlaflosigkeit bis zu Wutanfällen. Wichtig ist, auch zu wissen: Trauern ist eine normale Reaktion auf einen Verlust. Wir trauern, weil wir lieben. Man könnte sagen, die Trauer ist die Kehrseite der Liebe.
Trauern Frauen anders als Männer?
Meiner Erfahrung nach suchen Frauen eher den Austausch mit anderen. Deswegen sind in Trauergruppen auch mehr Frauen als Männer. Männer ziehen sich tendenziell lieber zurück und machen vieles mit sich selbst aus. Beides ist gut. Bei trauernden Paaren sollte man sich gegenseitig den Freiraum lassen, die Trauer so auszuleben, wie es jedem guttut.
Macht es bei der Trauer einen Unterschied, ob man den Partner schon länger in Krankheit begleitet hat, mit dem Tod rechnen musste oder ob ein Herzinfarkt ihn plötzlich aus dem Leben reisst?
Ja, ein plötzlicher Tod kann schwerer zu verkraften sein, da er einen unerwartet trifft. Der Schock ist grösser. Jedoch ist es auch bei langen Abschieden so, dass der Moment, in dem der geliebte Mensch stirbt, nicht wirklich vorbereitbar ist. Man weiss nie, wie es dann sein wird. Man kann seine Gefühle nur begrenzt vorbereiten.
Haben Sie schon getrauert? Was war da für Sie essenziell?
Ja, das habe ich. Mir hat es geholfen, Zeit zu haben für mich und einfach zu weinen oder zu schlafen. Als ich dann wieder aktiv werden wollte, war der Austausch mit lieben Menschen, denen ich vertraute, essenziell. Die Trauer geht nicht einfach weg, sie bleibt ein Teil von einem, aber – wenn es gut geht – ein Teil, den man ins Leben integrieren kann. Ich bin ein Stück weit an dieser Trauererfahrung gewachsen. Aber das kann ich so nur sagen, weil es schon lange genug her ist. Ich habe mich durch die Trauer besser kennengelernt.
Im Moment eines Verlustes ist man mit viel Administrativem, mit der Vorbereitung der Beerdigung und anderen Dingen beschäftigt. Kehren Ruhe und Alltag ein, kommt nochmals eine Trauerwelle. Was muss man da besonders beachten?
Am Anfang ist der Alltag mit der Administration und Organisation überwältigend und lässt kaum Zeit für aktive Trauer. Freunde und Verwandte fragen in dieser aktiven, akuten Trauerphase auch viel nach, wie es geht und ob sie etwas helfen können. Später ebbt das auf einmal ab. Ganz wichtig: Warten Sie nicht, bis sich die anderen melden. Rufen Sie Freunde und Verwandte selber an. Das ist schwer, ich weiss. Aber allein zu sein in der Trauer, ist noch schwieriger auszuhalten. Eine Strukturierung des Tagesablaufs mit bewussten Zeiten für die Trauer, zum Beispiel ein Friedhofsbesuch, Ordnen von Fotos, Aufschreiben von Erinnerungen, ist auch eine gute Sache.