Das Wasser ist tiefblau, das Wetter warm mit einer sanften Seebrise. Im Hintergrund schimmern die Alpen durch den Dunst des Genfersees. An Land klirren die Gläser, Alphornklänge sind zu hören, es wird «Santé!» gerufen. In Vevey VD fliesst der Wein in Strömen. Noch bis zum 11. August wird hier mit der über 200 Jahre alten Fête des Vignerons das grösste Winzerfest der Schweiz gefeiert. Mit einem Budget von rund 100 Millionen Franken.
Was die Faszination des Anlasses, der nur alle 20 bis 25 Jahre stattfindet, ausmacht, weiss Christoph Baier (67): «Das herrliche Lebensgefühl. In Vevey dreht die Zeit langsamer, hier sind wir mit einem Glas Wein und guter Gesellschaft zufrieden», sagt er. Die Fête des Vignerons prägte Baiers Leben massgebend: Nach seinem ersten Festbesuch im Jahr 1977 entschloss sich der Basler, an den Genfersee umzuziehen.
Mittlerweile hat er ein Haus, Frau und Kinder in der 18'000-Einwohner-Gemeinde, die während des Winzerfests nicht wiederzuerkennen ist. An jeder Ecke findet sich ein Essens- oder Getränkestand. Bis zu einer Million Besucher werden am Genfersee während der kommenden knapp vier Wochen erwartet. Baier schwärmt: «Vieles wurde renoviert oder gar neu geschaffen», sagt Wahl-Waadtländer Baier. «Hier ziehen alle an einem Strang.»
Mehr Bier als Wein
So auch Charles Morard (28) aus Saint-Légier VD. Er leitet an der Place du Marché die Bar 55, in der sonst ein Veloladen zu finden ist. «Seit März bauen wir das Lokal um, im Mai hatten wir den letzten Verkaufstag. Und nach der Fête gehts wieder zum normalen Geschäft.» Der Politikwissenschaftsstudent schätzt die Stimmung am Weinfest, sie sei zwar sehr ausgelassen, aber auch friedlich: «Die Menschen hängen hier nicht an ihren Smartphones rum, sondern sprechen und feiern miteinander. Schön, dass dies heutzutage noch geht.»
Interessanterweise ist es aber nicht der Wein, der bei ihm am meisten verkauft wird, sondern Bier und Aperol Spritz: «Die Menschen strömen direkt aus dem Stadion gegenüber zu uns und haben Durst, da wäre Wein das falsche Getränk.»
Erfahrung fürs Leben
Das Spektakel in der temporären Arena bildet den Höhepunkt der Fête des Vignerons. In zweieinhalb Stunden wird hier eine künstlerische Show ums Weinjahr mit über 5500 Darstellern geboten. Da der Platz für Garderoben nicht vorhanden ist, treffen die Darsteller in den Stunden vor der Vorführung bereits in ihren Kostümen ein und sorgen für ein farbenfrohes Stadtbild.
Eine Darstellerin ist Miriam Berger (52), Versicherungsangestellte aus Ollon VD: «Mein Grossvater war schon 1927 Teil des Spektakels, meine Mutter kam 1955 dazu. Jetzt bin ich dran.» Die dreifache Mutter ist Mitglied der 350-köpfigen Can-Can-Truppe, die mit einer lüpfigen Tanzeinlage bei den rund 20'000 Zuschauern für Begeisterung sorgt. «Hier dabei zu sein, ist eine Erfahrung fürs Leben», schwärmt Berger. «Wir proben schon seit November, jetzt können wir die Früchte unserer Arbeit ernten.» A la santé!
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