Theatervorstellungen sind wieder erlaubt. Mit Abstand - zwischen Zuschauern, aber auch zwischen den Schauspielern. Mit viel Vor- und Rücksicht öffnen die Theater wieder ihre Häuser. Das Schauspielhaus Zürich etwa zeigt am Wochenende «Composition (vor) IV», bei dem dreimal an drei Abenden jeweils 24 Zuschauer eine installative Performance besuchen können.
Aber welche Regeln gelten in der neuen Spielzeit? Wie viele Zuschauer sind im September erlaubt? Wie nah dürfen sich Schauspieler im Dezember kommen? Und dürfen sie im April 2021 wieder schreiend ihre Dispute austragen? Das weiss derzeit niemand. Und dennoch müssen die Theater ihren Zuschauern sagen, was sie ihnen in der nächsten Spielzeit zu präsentieren gedenken. Nur so kann der Vorverkauf nach drei Monaten Lockdown wieder in Gang kommen; nur so können die Abonnentenbüros die Abos zusammenstellen und bewerben.
Viele Theater im deutschsprachigen Raum, so berichtet Benjamin von Blomberg, Co-Intendant am Schauspielhaus Zürich, geben derzeit überhaupt keine Spielzeithefte heraus. Zu viele Unwägbarkeiten hat ein Spielplan, wenn Regisseure als Gäste engagiert werden, nach rund sechs Wochen Probe eine Premiere abliefern und dann ans nächste Haus weiterziehen. Wann hat welcher Regisseur Zeit? Wann die Schauspieler, die man als Gäste engagieren möchte? Und was wird mit Stücken, deren Proben der Lockdown gestoppt hat? Soll die Arbeit an Inszenierung A fortgesetzt, kann Inszenierung B verschoben werden?
Das Schauspielhaus Zürich hat mit dem Start der Co-Intendanz von Nicolas Stemann und von Blomberg im Sommer 2019 einen anderen Weg eingeschlagen und acht Hausregisseure, einschliesslich Stemann selbst, für drei Jahre verpflichtet, die in Zürich wohnen und arbeiten. Wenn das gesamte künstlerische Personal vor Ort lebt, können unterbrochene Arbeiten fast nahtlos wieder aufgenommen werden.
Das betrifft auch die Arbeit mit den Gästen, mit denen man sich auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit verständigt hat. Daher wird Christoph Marthalers Arbeit «Das Weinen (Das Wähnen)», das am Tag vor dem Lockdown Generalprobe hatte, die kommende Spielzeit im Pfauen eröffnen. Marthaler hatte wohl ein Gespür für das Kommende: Bereits vor einem Jahr entschied er sich, die Texte von Dieter Roth in einer Apotheke zu inszenieren. Auch Yana Ross’ kann ihre Arbeit an der Dramatisierung von «Mein Jahr der Ruhe und Entspannung» fortführen. Der Inhalt passt auch aktuell noch: In Ottessa Moshfeghs Roman beschliesst eine Frau, ein Jahr in Quarantäne zu leben.
Doch die Corona-Pandemie führt auch zu Beschränkungen auf der Bühne. Etwa wenn Leonie Böhm für «Medea» nur Schauspielerin Maja Beckmann und Musiker Johannes Riedel auf die Bühne stellt. Oder Intendant Nicolas Stemann zum 100. Geburtstag von Friedrich Dürrenmatt 2021 den «Besuch der Alten Dame» nur mit Patrycia Ziolkowska und Sebastian Rudolph besetzt.
Begonnene Arbeiten müssen teilweise völlig verändert werden. Mal ist eine Umbesetzung nötig, weil ein Schauspieler für ein anderes Projekt vorgesehen ist. Suna Gürler wird die Choreographie für «Frühlings Erwachen» von Frank Wedekind von Grund auf ändern: «Natürlich sollten die Schauspieler sich auch mal aufeinander knubbeln», erzählt sie. Das aber ist wohl im September immer noch verboten. Andererseits hat Gürlers Idee, Jugendliche mit älteren Schauspielern über Sexualität reden zu lassen, durch die Corona-Pandemie eine neue Dringlichkeit bekommen. «Wie gehen pubertierende Jugendliche mit den Restriktionen um», fragt Gürler jetzt, «was macht es mit ihnen, wenn sie den anderen und seinen Körper plötzlich als Gefahr wahrnehmen?»
Unter diesen Bedingungen haben die Spielzeithefte, die dieser Tage in den Häusern ausliegen oder in den Briefkästen der Abonnenten landen, den Charakter von Arbeitsheften. Vieles wird sich kurzfristig entscheiden.
Neu ist das Projekt von Christopher Rüping mit Yesati Öziri. Dessen «Korrektur» genannte Überschreibung «Verlobung von St. Domingo - ein Widerspruch» basierte auf der entsprechenden Erzählung von Heinrich von Kleist, die im Schiffbau gezeigt wurde. Er will jetzt Wagners «Ring» «korrigieren». Die Idee: Die marginalisierten Figuren betreiben den Sturz der besitzhabenden Elite. Aber weil noch völlig offen ist, wie viele Schauspielerinnen und Schauspieler im März auf der Bühne stehen dürfen, ist auch die Besetzung noch unklar.
Zu all den Unwägbarkeiten kommen die schnell schreibenden Autorinnen und Autoren. So hat Elfriede Jelinek ein Stück geschickt, in dem sie ihre Erfahrungen in der Pandemie mit Überlegungen zur Steuergerechtigkeit speziell in der Schweiz verbindet. Doch Nicolas Stemann, der schon viele Jelinek-Werke uraufgeführt hat, möchte mit «Der Froschkönig» das Weihnachtsmärchen und den Dürrenmatt inszenieren. Mehr als zwei Stücke kann er nicht stemmen. Irgendwie wollen sie am Schauspielhaus trotzdem versuchen, Elfriede Jelineks Werk im Spielplan unterzubringen.
(SDA)
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