Conchita Wurst über ihre Biografie
«Ich habe für alle gesiegt»

Sie steht zwischen den Geschlechtern – und fasziniert und provoziert damit gleichermassen. Conchita Wurst (27) über Morddrohungen, ihre zwei Identitäten und die neue Biografie.
Publiziert: 15.12.2015 um 16:07 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 20:00 Uhr
Interview: Franziska K. Müller. Fotos: Heribert Corn

Ein Album, eine Autobiografie, hochkarätige Auftritte: Was waren Ihre Highlights des ausklingenden Jahres?
Conchita Wurst: Der Moment, als ich mein Debütalbum endlich in den Händen hielt. Dann die Zusage, dass ich nächstes Jahr in der Oper von Sydney auftreten darf. Und all die wunderbaren Begegnungen der vergangenen Monate. Das Treffen mit Modedesigner Jean Paul Gaultier entwickelte sich beispielsweise zur richtigen Freundschaft, das französische Künstlerduo Pierre et Gilles inspirierte ich zu einem Werk. Und auch die Begegnungen mit Karl Lagerfeld und der grossen Vivienne Westwood gehören mit dazu. Sie sehen, es sind ganz viele.

Zur Person

Tom Neuwirth (27), wie Conchita Wurst mit bürgerlichem Namen heisst, wuchs in Bad Mitterndorf im österreichischen Salzkammergut auf. Die Eltern betrieben einen rustikalen Gasthof.

Mit 14 verliess Tom sein Dorf, um die Modeschule in Graz zu absolvieren. Zugleich träumte er von einer Karriere als Sänger. Seit 2011 tritt er als Frau mit Bart auf.

2014 gewinnt Conchita den Eurovision Song Contest. Die Travestiekünstlerin sieht sich als Botschafterin für Toleranz und Akzeptanz. Sie betont: «In meinem Männerkörper fühle ich mich rundum wohl.»

Conchita Wurst ist auch Tom Neuwirth (27).
Conchita Wurst ist auch Tom Neuwirth (27).

Tom Neuwirth (27), wie Conchita Wurst mit bürgerlichem Namen heisst, wuchs in Bad Mitterndorf im österreichischen Salzkammergut auf. Die Eltern betrieben einen rustikalen Gasthof.

Mit 14 verliess Tom sein Dorf, um die Modeschule in Graz zu absolvieren. Zugleich träumte er von einer Karriere als Sänger. Seit 2011 tritt er als Frau mit Bart auf.

2014 gewinnt Conchita den Eurovision Song Contest. Die Travestiekünstlerin sieht sich als Botschafterin für Toleranz und Akzeptanz. Sie betont: «In meinem Männerkörper fühle ich mich rundum wohl.»

 Westwood hat Ihnen geraten, alles, was möglich ist, mitzunehmen – «da der Erfolg oft schneller endet, als es einem lieb ist». Ein netter Rat oder eine böse Prophezeiung?
Ich bin Optimistin und unterstelle den Menschen in der Regel nie Böses. In diesem Sinn nahm ich den Ratschlag dankbar an, wusste aber schon vorher, dass Erfolg zu haben, eine Sache ist – und eine andere, den Erfolg zu gestalten und weiterzuführen.

Welche Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang die wichtigste?
Jene, die ich auch musikalisch zu vermitteln suche: «Steh zu dir selbst, sei, wer du bist.» Mich beflügelt dieses Motto, und gleichzeitig hält es mich fest auf dem Boden der Realität. Es bedeutet auch: Man kann selbstbewusst Grosses angehen und bescheiden bleiben, Diese Bescheidenheit schliesst auch Respekt vor jenen Menschen ein, die anders sind als wir selbst. Solange sie mit ihrer Denkweise oder mit ihrem Verhalten anderen nicht schaden, haben alle eine Daseinsberechtigung.

Was ist das Beste am grossen Erfolg?
Dass man mir zuhört und meine Ideen ernst nimmt.

Sie haben 2015 Conchitas Optik verfeinert und gleichzeitig deren Persönlichkeit weiter modelliert: Was war schwieriger?
Beides geht Hand in Hand. Eine Verwandlung geschieht ja äusserlich, aber sie muss dem Innern entsprechen, sonst wirkt sie nicht authentisch. Das Innere und Äussere treiben sich im besten Fall gegenseitig an. Ein Beispiel: Auf High Heels bekommt man automatisch einen anderen Gang, eine andere Haltung. Wirklich schön ist sie aber erst mit der inneren Haltung. Sonst bleibt sie eine Attitüde, eine Pose.

Sie strahlen in der Tat nicht nur Schönheit aus, sondern auch Eleganz und Klasse. Wie definieren Sie diese Begriffe?
Eleganz symbolisiert für mich das Schöne, das Gute, das Erfreuliche. Ich sehe sie auch als Pause von allem Hässlichen und Bösartigen. Klasse wiederum hat mit Wohlerzogenheit und Höflichkeit zu tun, wozu insbesondere auch das Zuhören und das Interesse an den Mitmenschen gehören. Und den Willen, seinen Horizont zu erweitern.

Welche Dinge sollte sich eine Lady Ihrer Meinung nach niemals erlauben? Respektive: Was sollte diese unbedingt beachten?
Sie sollte immer einen kurzen Blick in den Spiegel werfen, bevor sie das Haus verlässt. Denn nur wer sich selbst wohlwollend betrachten kann, und ich spreche dabei nicht von teuren Kleidern und von makelloser Schönheit, tritt selbstbewusst und zufrieden in die Welt hinaus. Und nur so wird sie sich dementsprechend verhalten und bei anderen ein positives Echo auslösen.

Klingt ein bisschen nach der Philosophie einer Doris Day...
Die Herren der Schöpfung sollten natürlich Ähnliches beherzigen. Falls möglich.

Apropos: Wie verhält es sich mit dem Mann hinter Conchita Wurst? Wirft dieser zu Hause die Perücke in die Ecke, legt die Füsse auf den Tisch und trinkt ein Bier?
Das ist ganz gut beschrieben, auch wenn wir beide lieber ein Glas Wein trinken. Ich geniesse die Öffentlichkeit als Conchita Wurst und das Private als Tom Neuwirth. Perücke rauf: Conchita. Perücke runter: Tom. So einfach ist das.

Was trennt respektive verbindet die beiden Menschen?
Am Anfang von Conchitas öffentlicher Karriere war Tom unsichtbar, die Biografien der beiden waren komplett getrennt. Als nach dem Sieg zum Eurovision Song Contest 2014 das Interesse wuchs, wollte ich aber die ganze Geschichte erzählen. Dazu zählt auch, wie Tom zu Conchita wurde – also schrieb ich meine Biografie. Die beiden wuchsen im vergangenen Jahr quasi zusammen, was kein bewusster Akt war oder ist, mir aber selbst auch auffällt.

Conchita wird sehr unterschiedlich interpretiert: Jemand wähnt sich durch sie gar an die heilige Kümmernis erinnert, eine gekreuzigte Frau mit Bart, die einen vollkommenen und keuschen Lebensweg symbolisiert. Irritiert das?
Kein bisschen. Jeder darf Conchita so interpretieren, wie er will. Manchmal offenbaren solche Erklärungsversuche aber mehr über den Verfasser als über Conchita.

Haben Sie eine Erklärung dafür, weshalb viele ältere Stars aus der Mode und dem Showbiz Conchita derart toll finden? (überlegt lange) Ich glaube, dass sie viele an Zeiten zurückerinnert, in denen eine Drag-Künstlerin nie und nimmer den Eurovision Song Contest hätte gewinnen können. Diese Persönlichkeiten haben die Homosexualität noch als grosses Tabuthema erlebt. Für jene, die sich seit den 1970er- oder 1980er-Jahren mit diesem Thema auseinandersetzen, war mein Sieg vielleicht auch ein wenig ein Sieg ihres langen persönlichen Kampfes.

Gilt das auch für Ihr Publikum?
Nein. Mir fällt immer wieder auf, wie unterschiedlich die Altersklassen sind. Ich finde es sehr interessant, wie unbekümmert Kinder mit der Kunstfigur Conchita umgehen – und wie gross die Befangenheit mit zunehmendem Alter werden kann.

Vor dem Eurovision Song Contest äusserten sich verschiedene Nationen sehr negativ über Ihre Teilnahme. Und seit Ihrem Sieg sind Sie immer wieder Anfeindungen, ja sogar Morddrohungen ausgesetzt. Wie hält man so viel Hass aus?
Das ist gar nicht so schwierig. Ich ging von Anfang an relativ locker mit den Anfeindungen um, und bei allfälligen Morddrohungen schrieb ich den Absendern zurück: «Stellt euch bitte hinten in die Reihe.» Die negativen Reaktionen haben weder gross geschmerzt, noch machten sie mich wütend – auch weil ich mich dafür entschieden habe, mich nicht mit Negativem zu umgeben. Eine Emotion habe ich aber doch für extreme Kritiker: Mitleid. Wieso beschäftigen sie sich derart intensiv mit Dingen, die sie nicht mögen, statt mit Dingen, die ihnen guttun? Das verstehe ich nicht.

In Ihrem Buch schildern Sie Ihre Kindheit im ländlichen Bad Mitterndorf in Österreich. Sie stammen – wenn man so will – aus einem liberalen Elternhaus, waren aber immer wieder homophoben Reaktionen ausgesetzt. Sie schreiben, dass in dieser Zeit das Fabelwesen Conchita bereits in Ihnen schlummerte und wachsen wollte: Haben die Widersacher Sie wachgekitzelt?
Kunst entsteht tatsächlich oft als Reaktion, als Antwort, als Ausweg oder als Kommentar auf unglückliche und missliche Umstände. Aber Conchita wollte so oder so auf die Bühne. Sie hätte sich auch bemerkbar gemacht, wäre alles in bester Ordnung gewesen.

Sie entflohen ganz jung in ein Leben, das Sie heute als glücklich und erfüllt bezeichnen: Was empfehlen Sie homosexuellen Jugendlichen, die vielleicht unglücklich sind und nicht weiterwissen?
Diese jungen Menschen müssen einen Weg finden, sich selbst zu akzeptieren und zu respektieren. Dabei kann es sehr hilfreich sein, seine Talente zu entdecken und diese zu pflegen, darauf aufzubauen – auch wenn einem diese im Moment noch winzig klein erscheinen.

Man geht gemeinhin davon aus, dass in den Grossstädten die Toleranz gegenüber Schwulen gegeben ist, es auf dem Land aber noch Vorbehalte gibt: zu Recht?
Nein, so einfach lässt sich Toleranz nicht festmachen. Auch im kleinsten Dorf kann der Umgang mit Minderheiten respektvoll und tolerant sein, und in der Grossstadt geschehen manchmal furchtbare Dinge. Ich glaube, Toleranz hat wenig mit der Herkunft oder dem Wohnort der Menschen zu tun. Sie ist vielmehr Resultat der Herzensbildung.

Sie gelten mittlerweile als Ikone der homosexuellen Gemeinschaft, Sie sprachen in dieser Rolle auch vor dem Europäischen Parlament, trafen sich mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und sagen, Sie möchten mehr erreichen, als allein mit Ihrer Musik zu begeistern. Wo genau besteht Handlungsbedarf?
Ich sehe mich natürlich weiterhin als Sängerin, das ist mein Hauptberuf. Allerdings verknüpfen mich die Menschen und Institutionen mit einer Message der Offenheit und Toleranz. Dafür stehe ich weiterhin und immer ein. Es ist und bleibt aber eine persönliche Meinung, und politische Forderungen werden von mir nicht zu hören sein, das ist der Job anderer Leute.

Gibts eigentlich auch Situationen, in denen Sie sich nur noch abschminken wollen – oder die Transformation zu Conchita als Last erleben?
In jedem Beruf gibt es Tage, an denen man weniger motiviert ist. Das ist bei einem Künstler nicht anders als bei einer Supermarktkassiererin oder einem Briefträger. Grundsätzlich macht mir die Verwandlung und die Schminkerei aber noch immer grossen Spass – und wie viele Paar Schuhe ich besitze, weiss ich in der Zwischenzeit nicht einmal mehr.

Auf die künstliche Oberweite verzichten Sie längst. Was müsste passieren, damit der Bart fällt?
Nachdem ich die Brustimplantate zur Seite gelegt hatte, sagte jemand. «Jetzt sieht sie wie ein richtiges Topmodel aus: gross, sehr schlank und komplett flach.» Im Ernst: Veränderungen sind immer möglich, aber solche Pläne würde ich niemals im Vorfeld verraten. Meinen Fans rufe ich darum zu: «Lasst euch überraschen.»

Das Buch und das Album

Autobiografie: Conchita Wurst: «Ich, Conchita – We Are Unstoppable», 192 Seiten, Verlag Langen Müller
Debütalbum: «Conchita» mit dem Siegersong «Rise Like Fotos: SKATA/imago, Stefan Menne/RTL, Ragnar Singsaas/WireImage, Franziska Krug/Swarovski/Getty Images A Phoenix» und «You Are Unstoppable».

Autobiografie: Conchita Wurst: «Ich, Conchita – We Are Unstoppable», 192 Seiten, Verlag Langen Müller
Debütalbum: «Conchita» mit dem Siegersong «Rise Like Fotos: SKATA/imago, Stefan Menne/RTL, Ragnar Singsaas/WireImage, Franziska Krug/Swarovski/Getty Images A Phoenix» und «You Are Unstoppable».

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