Sie ist eben vom Wochenende mit ihrem Freund zurückgekommen, er ist gerade frisch verliebt: Monica Beckmann (51) und Chris Kravogel (51) sind seit bald 30 Jahren verheiratet. Sie sagen: «Wir sind einander absolut treu.» Das Ehepaar aus Emmenbrücke LU führt eine polyamouröse Beziehung und macht kein Geheimnis mehr daraus. Monica ist Einwohnerrätin in Emmenbrücke LU und arbeitet als Maschinenkonstrukteurin, Chris Kravogel arbeitet als Manager in der Gesundheits-IT.
Die Beziehungsform hat sich für das Paar über die Jahre so entwickelt: «Wir sind schon als 18-Jährige zusammengekommen, für jeden von uns war das die erste Partnerschaft.» Bald tauchte die Neugier auf andere sexuelle Erfahrungen auf. «Lust auf fremde Haut» nennen es die beiden. Das verheimlichten sie einander nicht, ganz im Gegenteil, sie diskutieren darüber: «Trennen wollten wir uns nicht, unsere Liebe war da, also beschlossen wir, gemeinsam fremdzugehen», erzählt Kravogel.
Glückshormone beim gemeinsam Fremdgehen
Über eine Annonce war bald ein anderes Paar gefunden, und man wagte das erste erotische Abenteuer zu viert, bis heute erinnern sie sich an die Heimfahrt danach, vor inzwischen 25 Jahren: «Es war ein aufregendes Erlebnis, wir waren voller Glückshormone und hätten am liebsten der ganzen Welt davon erzählt, wie schön das war.» Ihre unkonventionelle Liebes- und Lebensform behielten sie aber lange für sich, in erster Linie aus Rücksicht auf ihre heute erwachsenen Kinder war Diskretion wichtig. Ihnen haben sie von ihrer alternativen Beziehungsform erzählt, als diese jeweils 16 Jahre alt wurden.
Zurückhaltend blieb das Paar auch, um sich vor Vorurteilen zu schützen. «Ich wollte mich nicht rechtfertigen oder als Schlampe oder Opfer gewertet werden», sagt Beckmann. Denn was bei Polyamorie oft missverstanden wird: Es geht nicht bloss um das Körperliche, sondern um emotionale Bindungen. «Uns fehlte bei den rein erotischen Erfahrungen bald die Tiefe. Bei vielen dieser Begegnungen begann es auch auf der Herzensebene zu fliessen», so Chris Kravogel. Anfangs trafen sie sich nur als Paar mit anderen Partnern, als der erste Sohn zur Welt kam, auch einzeln. Gewissermassen ein pragmatischer Entscheid, man musste keinen Babysitter organisieren.
Sex und Liebe, aber keine Heimlichtuerei
Eines war aber von Anfang an das Wichtigste und ist es auch geblieben: Offenheit und Transparenz. «Das gilt nicht nur innerhalb unserer Beziehung, sondern auch gegenüber allen anderen Partnern», so Monica Beckmann. «Es gibt Sex und Liebe mit anderen Partnern, aber keine Heimlichtuerei. Das wäre für mich der wahre Betrug.» Auch Ehrlichkeit will jedoch geübt sein: Wie viel und was erzählt man sich gegenseitig von den anderen Liebesbeziehungen? «Die Kommunikation ist enorm wichtig und anspruchsvoll, man muss wirklich aktiv zuhören können, respektvoll sein und auch mit Unangenehmem umgehen können.»
Grenzen und Regeln setzen und einhalten
Wichtig sind bei solchen Gesprächen Grenzen und Regeln. So wird zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen nicht über andere Beziehungen gesprochen: «Diese Zeit gehört uns gemeinsam, da reden wir über uns», sagt Monica Beckmann. Die aktive Kommunikation sei eine Qualität und Basis, die in ihrer langjährigen Beziehung gewachsen ist. «Wer sich für Polyamorie entscheidet, muss emotional stabil sein und das aus eigener Kraft und nicht aus einem Defizit heraus tun. Sonst ist das von Anfang an zum Scheitern verurteilt», so Chris Kravogel. Ganz besonders, wenn einer der Partner nur dem anderen zuliebe mitmacht. Das passiere oft bei Paaren in einer Midlife-Crisis: «Aber man darf nicht zu etwas Ja sagen, das man innerlich nicht fühlt.»
Hört man dem Paar zu, klingt ihre Beziehungsform tatsächlich nicht so abwegig, besonders, wenn man bedenkt, wie viel heimlich fremdgegangen wird. Aber Hand aufs Herz, was geht in einem vor, wenn der Ehemann oder die Ehefrau von einem Date nach Hause kommt und womöglich noch nach jemand anderem duftet? Monica Beckmann erinnert sich an das erste Mal, als Chris von einem Treffen nach Hause gekommen ist: «Anfangs war das schon nicht so einfach. Als er strahlend zur Tür reinkam, habe ich mich gefragt, was hat die andere, was ich nicht habe. Das war nicht direkt Eifersucht, aber es löste negative Gefühle in mir aus, Verlustängste oder nicht zu genügen.»
Immer wieder frisch verliebt
Auch für Chris Kravogel war das ein Prozess: «Dieser Geruch nach einem anderen Mann an ihr, das hat mich gestört. Auch hier nehmen wir gegenseitig Rücksicht, also duschen, bevor wir heimkommen, und zu Hause nochmals. Und auch bevor wir zu einer anderen Freundin oder Freund gehen.» Sie nickt: «Damit man sich gegenseitig in den Arm nehmen kann und dabei nicht zu dritt ist.» Wenn sie miteinander über ihre anderen Beziehungen sprechen, dann geht es so gut wie nie um intime Details, sondern mehr über Gefühle. «Wenn ich frisch verliebt bin, wie jetzt gerade, dann kann ich mit Monica darüber sprechen. Sie ist nicht nur meine Frau, sondern auch meine beste Freundin und wichtigste Bezugsperson», so Kravogel.
Eifersucht gibt es zwischen ihnen nicht, beide betrachten ihre zusätzlichen Beziehungen als eine Bereicherung: «Ich hatte zehn Jahre einen Partner, es gab auch kürzere Beziehungen, einfach ist es nicht, jemanden zu finden, der sich darauf einlässt», erzählt Beckmann. Seit anderthalb Jahren hat sie wieder einen Freund: «Links und rechts einen starken Mann an der Seite zu haben, das ist ein Riesengeschenk für mich.»
Er trifft sich mit drei Frauen, sie hat einen Freund
Chris Kravogel trifft sich derzeit mit drei Frauen: «Für mich ist es ebenfalls wichtig, längerfristige Beziehungen zu haben. Manchmal sieht man sich einmal im Monat, mal mehrmals pro Woche. Dabei geht es nicht immer nur um Sex. Mit einer Freundin treffe ich mich seit Monaten, und wir haben noch nie miteinander geschlafen.» Nicht jeder der Beteiligten involviert sich in gleicher Weise in dieses Beziehungsgeflecht, es kennen sich auch nicht alle untereinander. Eine von Kravogels Freundinnen will lieber nichts von seiner Frau wissen, die andere steht dem Paar aber nahe, sie hat sogar gemeinsam mit der Familie Weihnachten gefeiert.
Für die drei erwachsenen Kinder ist das ganz normal. «Meine Eltern sind nicht anders als andere, vielleicht etwas liebevoller», so Tochter Tia. Für die 18-Jährige ist das Liebesleben der Eltern nichts Aussergewöhnliches, sie interessiert sich – wie wohl die meisten Teenager – nicht im Detail dafür. «Ich weiss, was Polyamorie ist – wie sich mein eigenes Liebesleben mal gestalten wird, das lasse ich mir offen», so die Gymi-Schülerin, die parallel auch als Model arbeitet.
Geschützter Sex ist ein absolutes Muss
Zweifel, dass etwa die Kinder nicht vom Ehepartner sind – eine Frage, die ihm oft gestellt wurde –, die gab es nie. Chris: «Ich weiss, dass ich der Vater meiner Kinder bin, in dieser Lebensphase lebten wir monogam. Zudem ist geschützter Sex mit anderen bei uns ein absolutes Muss.» Chris Kravogel und Monica Beckmann führen eine sogenannt hierarchische Polyamorie, sprich ihre Beziehung gilt als primär, kommt an erster Stelle. Zwei Jahre ist es her, seit sich die beiden geoutet haben, eine Erleichterung: «Ich kann ungezwungen mit einer Freundin Hand in Hand spazieren gehen.»
Die Öffentlichkeit nutzen beide, um ihre Beziehungsform aus der Schmuddel-Ecke zu holen und gesellschaftsfähiger zu machen. Denn es gebe viele falsche Vorstellungen darüber. «Viele denken, wird leben wie Bruder und Schwester zusammen und suchen Liebesspiele auswärts, das hat aber nichts mit Polyamorie zu tun, wir sind ein Liebespaar. Und bei unseren weiteren Partnern ist Erotik nicht das erste Ziel, es geht um eine Herzverbindung», so Monica. Und Chris betont: «Wir sind 32 Jahre zusammen, ich liebe und begehre meine Frau nach wie vor aus tiefstem Herzen.»
Polyamorie ist bei Monica und Chris nicht nur eine Beziehungsform, sondern zieht sich durch alle Schichten ihres Lebens. So ist Monica Beckmann Einwohnerrätin in Emmenbrücke LU, arbeitet als Maschinenkonstrukteurin, bietet spirituelles Coaching an und betreibt einen Podcast zu Polyamorie-Themen (polyamroyspirit.ch). Chris Kravogel arbeitet als Manager in der Gesundheits-IT, arbeitet in Emmenbrücke als Tantramasseur und bringt bei Astro-Events den Sternenhimmel einem interessierten Publikum näher.
Polyamorie ist bei Monica und Chris nicht nur eine Beziehungsform, sondern zieht sich durch alle Schichten ihres Lebens. So ist Monica Beckmann Einwohnerrätin in Emmenbrücke LU, arbeitet als Maschinenkonstrukteurin, bietet spirituelles Coaching an und betreibt einen Podcast zu Polyamorie-Themen (polyamroyspirit.ch). Chris Kravogel arbeitet als Manager in der Gesundheits-IT, arbeitet in Emmenbrücke als Tantramasseur und bringt bei Astro-Events den Sternenhimmel einem interessierten Publikum näher.