Ein weltbekannter Neurologe und Autor geht 50 Jahre lang zwei Mal in der Woche zum Analytiker und bekennt dem, 35 Jahre lang keinen Sex gehabt zu haben. Im hohen Alter von 75 Jahren habe er sich schliesslich in einen anderen Schriftsteller verliebt. Das zwingt ihn, seine «Gewohnheiten lebenslanger Einsamkeit» zu verändern.
Oliver Sacks ist mittlerweile 82 Jahre alt und schwer krank. Sein Buch ist eine faszinierende Mischung von Patienten-Fallstudien über «normale» und «unnormale» Verhaltensweisen mit Geschichtenerzählungen über sein Leben und Menschen, denen er begegnet ist.
So schildert er in berührenden Worten die späte dramatische Veränderung in seinem wissenschaftlich und schriftstellerisch reichen und privat doch so lange einsamen Leben: «Es war eine neue Erfahrung für mich, ruhig in den Armen eines anderen zu liegen, zu reden, Musik zu hören oder gemeinsam zu schweigen.» Dabei hatte Sacks nach früheren Enttäuschungen beim Verlieben in «normale Männer» beschlossen, «nie wieder mit irgendjemand zusammenzuleben».
Es sind nicht die einzigen zu Herzen gehenden privaten Bekenntnisse dieses Mannes. Als er sich als Jugendlicher im Elternhaus zu seinem Schwulsein bekennt, im England der 50er Jahre mit der Strafverfolgung Homosexueller, muss er sich von seiner Mutter anhören, dass er «ein Gräuel» sei: «Ich wünschte, du wärst nie geboren worden.»
Es ist für den Jugendlichen wie ein Messerstich, der ein Leben lang schmerzen wird. Und es führt dazu, dass Oliver bald sein Elternhaus und England verlässt, um in Kanada und schliesslich in den USA sein Glück zu suchen, wo er heute noch lebt.
Beruflich wird er es finden und mit seinen medizinischen Fallstudien zur Hirnforschung Aufsehen erregen. Dass Sacks seine Erkenntnisse mit seinem Talent als Geschichtenerzähler verbindet und also auch populärwissenschaftlich schreibt, wird ihm den Argwohn der Fachwelt einbringen, dafür aber auch die Aufmerksamkeit eines breiten, interessierten Publikums sichern, seine Bücher werden Bestseller.
Zu seinen grössten Erfolgen zählt das Buch «Awakenings» über Patienten mit Schlafkrankheit, das auch mit Robert de Niro und Robin Williams verfilmt wurde, wie auch das unter anderem von Peter Brooks dramatisierte Buch «Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte».
Auf dem Cover seiner Memoiren ist Sacks als Motorradfahrer auf einer schweren BMW zu sehen, eine seiner privaten Lieblingsrollen, in seiner Lederkluft dem jungen Marlon Brando nicht unähnlich. Der leidenschaftliche Motorradfahrer führte jahrelang ein «Doppelleben», wenn er seinen Arztkittel an Wochenenden mit der Lederkluft vertauschte und in die Weiten des amerikanischen Westens bis zum Grand Canyon davonraste, manchmal über 1000 Kilometer am Stück.
Es war auch die Zeit seines intensiven Drogenkonsums in den 60er Jahren in Kalifornien («If you're going to San Francisco...»), von dem er sich später wieder befreien konnte.
Notiz: Oliver Sacks: On the Move - Mein Leben. Rowohlt Verlag, Reinbek, 448 Seiten