Ach, Hanery. Ich habe mich in den letzten Monaten oft gefragt: Lässt dir das Leben noch ein wenig Kraft, um zu sterben? Du hast mich beeindruckt – nicht nur als Tastengott mit herzensgutem Wesen, sondern weil du dein Schicksal ohne Murren ertragen hast. So wie die Nadeln, die jetzt vom Christbaum fallen.
Warum sterben grosse Künstler oft in dieser besinnlichen Zeit? Charlie Chaplin (1889-1977), George Michael (1963-2016) und James Brown (1933-2006) verliessen uns an Weihnachten. Du dieses Jahr nur ein paar Tage später. Warum trifft uns das besonders? Weil wir in dieser besinnlichen Zeit ahnen, dass uns das grösste Geschenk des Lebens, das Leben an und für sich, wieder genommen wird?
Dein Licht ist nicht erloschen. Du bist nur in ein neues Leben getreten. Du spielst jetzt auf deinem Flügel im Himmel. Nackt, wie du das auf Erden oft nächtelang in deinem Übungszimmer gemacht hast. Umwattet von deinem göttlichen Spiel hören dir jetzt die Engel zu.
«Die fehlende Luft hat uns verbunden»
Oft ist die Todesursache von Musikern das Leben. Bei dir war es nie so. Du hast nicht mal geraucht. Trotzdem bist du an Lungenkrebs erkrankt. Warum schreibe ich hier überhaupt über dich? Die fehlende Luft hat uns viele Jahre verbunden. Ich lebte mit einer anderen Krankheit – mit Cystischer Fibrose. Auch sie hat mir den Atem geraubt, bis ich Ende 2013 transplantiert wurde. Wir haben uns in unserer Geheimsprache unterhalten – über FEV1, Atemnot, Hustenanfälle und Professor Weder, den besten aller Thoraxchirurgen, der uns beide am Zürcher Universitätsspital operiert hatte.
Zum Winterbeginn 2012 hast du im Kult-Lokal Zum Goldenen Anker ein Konzert gegeben. Ganz Interlaken war tief verzuckert. Schweren Schrittes stapfte ich durch den Schnee. Leute buddelten ihre Autos aus, jemand drückte mir eine Schneeschaufel in die Hand, um anzupacken, doch mir fehlte die Kraft. Im proppenvollen Saal sass ich in der Ecke, schnappte nach Luft, und fragte mich, ob ich es später noch zurück ins Hotel schaffe. Du hast den Saal zum Kochen gebracht, viele junge Leute tanzten zu deinem rockigen Hit «Alperose.» Dabei hattest du nach einer Krebserkrankung nur noch eine halbe Lunge! Unzählige Operationen hattest du zuvor ertragen müssen. Immer wieder mussten dir Stents unter Vollnarkosen eingepflanzt werden, die du – wie du mir lachend erzählt hast – später in die Kaffeetasse gehustet hast. Schliesslich musste der ganze Lungenflügel entfernt werden. Doch du hast trotz all dem zu keiner Zeit geklagt.
Dann war ich dran. Am Tag nach deinem Auftritt hat man mir im Zürcher Universitätsspital mitgeteilt, dass ich nur noch mit einer Spenderlunge überlebe.
«Du warst 2006 wegen Polo ein bisschen gekränkt»
Im Frühling 2014 habe ich dich in Interlaken besucht. Es war ein warmer Tag, und ich umarmte die Welt. Ich hatte eine neue Lunge, endlich wieder Luft zum Verschwenden. Ich wartete im Anker auf dich, deine liebenswerte Schwester servierte mir einen Schwarztee nach dem anderen, denn ich hatte vergessen, dass du immer erst am späteren Nachmittag erwachst. Irgendwann bist du dann die Treppe heruntergeschlurft. Du hast dich sehr gefreut, dass es mir wieder besser ging. Wir hörten den Strassenmusiker aus dem tiefen amerikanischen Westen zu, die im Anker ein paar Songs fidelten. Du konntest nicht still sitzen trotz deiner halben Lunge, bist aufgekratzt durch Interlaken getigert, überall stehengeblieben. Jeder wollte mit Hanery – dem Original mit dem Herzen am rechten Fleck, quatschen.
Du warst ein bescheidener Mensch, aber ich habe gespürt, dass das Verhältnis zu deinem Jugendfreund Polo Hofer schwierig war. Du warst schon ein bisschen gekränkt, als sich Polo 2006 als Abräumer in der SRF-Show «Die grössten Schweizer Hits» für den von dir komponierten Ohrwurm «Alperose» feiern liess.
«Es ist vorbei, Pesche»
Vor erst zwei Monaten, am Tag vor deinem 65. Geburtstag, hast du mir erzählt, dass der Krebs zurück ist. Du hattest bereits Ableger in der Leber, den Nieren und vor allem in den Knochen. Ich war geschockt, dass du nicht mehr mit den Fäusten kämpfen wolltest. «Es ist vorbei, Pesche», sagtest du nur noch. «Aber es ist jetzt wichtig, dass wir es meinen Fans so mitteilen, dass sie nicht zu sehr erschrecken.» Auch bei diesem Gespräch fragtest du mich, wie es mir geht. «Du musst aufpassen zu deiner Lunge, dass sie nicht abgestossen wird.» Wie oft habe ich das gehört. Du warst einfach rührend.
Und dann war dieser Silvesterabend. Als die Nachricht von deinem Tode kam, warst du schon weg. Wie schmeckt die Rotweinbirne mit dem Zimtparfait, wenn man kurz zuvor erfahren hat, dass ein Mensch fehlt, der die gleiche Lungensprache redete? Du hättest dich geärgert, wenn das Dessert nicht geschmeckt hätte.
Wir hatten vereinbart, dass ich dich anfangs Januar noch in Interlaken besuche. Du hast mir von deinem grössten Musik-Projekt, einem Album nur mit Pianomusik, geschwärmt. Es müsse einfach noch fertig werden.
Schlaf gut, Hanery. Unter deinem Grabstein liegt Musikgeschichte. Und noch viel mehr.