Bestseller-Autorin Jojo Moyes im Interview
«Ich bin gut darin, Freunde zu finden»

Die britische Autorin des Bestsellers «Ein ganzes halbes Jahr», Jojo Moyes, über den eben erschienenen Folgeband, Feminismus und ein Filmset, das bei ihrer Tochter Wunder bewirkte.
Publiziert: 09.12.2015 um 10:05 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:36 Uhr
Autorin Jojo Moyes (46): «Ich kenne keine Schriftsteller, die glauben, dass ihr Erfolg für immer anhalten werde.»
Foto: Christian Kerber

Am Ende des Interviews fragt Jojo Moyes (46): «War ich zu ehrlich?» Die Engländerin gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen der Gegenwart. Mit ihrem neunten Buch «Ein ganzes halbes Jahr» schaffte sie 2013 den Durchbruch. Mehr als fünf Millionen Mal ging es weltweit über den Ladentisch. Diesen Herbst legte sie das Nachfolgebuch mit der Protagonistin Louisa Clark vor: «Ein ganz neues Leben» hält sich in der Schweiz seit Wochen an der Spitze der Bestsellerliste.

Trotz des Grosserfolgs ist Jojo Moyes nahbar geblieben. Ein Interview mit ihr ist viel mehr Austausch als Abfragen. Beim Gespräch in Hamburg, wo sie im Anschluss vor fast 500 Fans aus ihrem neuen Buch liest, ist sie lustig, interessiert, persönlich. Und ehrlich.

SonntagsBlick: Jojo Moyes, Sie schrieben nach Ihrer ersten Lesetour dieses Jahr auf Twitter, dass Sie sich nun mit Leim an Ihre Kinder kleben werden. Jetzt sind Sie schon wieder unterwegs. Fühlen Sie sich als schlechte Mutter?
Jojo Moyes:
Ja! Aber das ist meine letzte Reise für ein ganzes Jahr. Meine Tochter wird nächsten Oktober ins College gehen, und ich will bis dahin nicht mehr reisen. Ich möchte nicht, dass ihr letztes Jahr zu Hause ohne mich vonstatten geht und die drei Kinder sich daran gewöhnen, dass ich weg bin.

In Ihrem neuen Buch taucht Lily auf, ein aufmüpfiger Teenager. Wie sehr ist ihr Verhalten von Ihren eigenen drei Kindern inspiriert?
Fast nicht. Ich habe eigentlich erwartet, dass ich eine Lily bekommen würde, weil ich mich selber ziemlich schlecht benahm als Kind. Aber meine Tochter – ich fasse Holz an – ist fast 18 und bereitet mir viel Freude. Und mein fast 15-jähriger Sohn ist ebenso toll. Klar haben sie ihre Macken, aber nichts wirklich Mühsames. Dass ich meine Kinder im Teenager-Alter so sehr mögen würde, habe ich nicht erwartet. Sie sind neugierig, sie machen Witze, sie sind sehr lebhaft.

Ihr jüngster Sohn ist taub geboren. Sie schrieben in einer Buchwidmung: «Für Lockie, der uns zeigt, dass Perfektion relativ ist.» Was ist für Sie Perfektion?
Als er geboren wurde, dachten wir nur dar­ über nach, was wir verloren haben. Aber wir merkten schnell, dass wir mit ihm mehr als doppelt gewonnen haben. Er ist mutig, arbeitet hart, ist lustig. Er verblüfft mich jeden Tag. Das ist für mich Perfektion. Er ist wohl der Intelligenteste von uns allen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass er seinen Weg machen wird. Vielleicht wird er sogar mal britischer Premierminister.

Apropos Politik – was halten Sie von der aktuellen britischen Regierung?
Nicht viel. Es fehlt ihr absolut an Menschlichkeit. Diese Regierung provoziert mich dermassen, dass ich fast versucht bin, ausfällig zu werden. Etwas im Herzen unseres Landes läuft im Moment gerade sehr schief. Zum Glück gibt es gute Menschen im täglichen Leben, die England doch zur Heimat machen. Ich kann mir trotz dieser Hassliebe nicht vorstellen, für längere Zeit anderswo zu wohnen.

Sie bezeichnen sich in Ihrer Biografie als Katastrophistin. Weshalb?
Nur um das klarzustellen: Eine Katastrophistin ist keine Pessimistin. Als Katastrophistin habe ich einen Plan für den schlimmsten aller Fälle. Wenn ich in einem Hotel bin, sehe ich mich zum Beispiel zuerst nach den Notausgängen um. Eine Pessimistin dagegen würde sagen: Es geht sowieso alles den Bach runter.

Wieso sind Sie so?
Ich hatte eine ziemlich verzwickte Kindheit und Jugend, weil ich im rauen Londoner Stadtteil Hackney aufgewachsen bin. Diebe brachen mehrmals in unser Haus ein. Wir wohnten in einem hohen Haus. Und wenn man in den oberen Etagen war, konnte man nicht fliehen, wenn jemand im Parterre war. So habe ich mir angewöhnt, immer nach einem Ausweg Ausschau zu halten.

Sie wuchsen als Einzelkind auf. Wie hat das Ihr Leben geprägt?
Ich bin gut darin, Freunde zu finden. Ich habe nicht viele, aber gute. Meine beste Freundin habe ich seit 30 Jahren. Ich bin sehr loyal gegenüber Menschen. Und ich schrieb mehr, weil ich als Kind häufig alleine war.

Ihr Buch «Ein ganzes halbes Jahr» war ein internationaler Bestseller. Sie bezahlten mit den Einnahmen als Erstes die Hypothek auf Ihrem Haus ab. Trauten Sie Ihrem Erfolg nicht?
Ich kenne keine Schriftsteller, die glauben, dass ihr Erfolg für immer anhalten werde. Ich bin mittlerweile sicher entspannter und zuversichtlicher. Aber ich verbrachte Jahre damit, keine Bücher zu verkaufen und erfolglos zu sein. Ich weiss, wie hart das ist. Ich bin nicht so fantastisch, dass ich jetzt sorglos mit einem Diadem auf dem Kopf herumlaufe. Es gibt sehr viele andere Schriftsteller, die hart arbeiten und trotzdem keinen Erfolg haben.

Aber Sie haben Millionen Bücher verkauft. Sie können sich zurücklehnen.
Es ist natürlich schön, in einen Buchladen zu gehen und dort drei oder vier Bücher von mir zu sehen. Und ich rede mit Menschen, die meine Bücher mögen. Dann wird mir klar, dass es nicht nur ein Glückstreffer war. Aber ich kann noch immer ein Buch schreiben, das niemand mag.

Mit «Ein ganz neues Leben» haben Sie einen Folgeband geschrieben. Wie gross war der Druck, den Erfolg fortzusetzen?
Sobald man beim Schreiben an Verkaufszahlen denkt, ist man dem Untergang geweiht. Das verändert den Schreibprozess stark – und das merkt man einem Buch an. Ich empfand viel mehr Druck von meinen Leserinnen, von denen ich täglich Mails und Tweets erhalte. Ich hörte Stimmen in meinem Kopf, die sagten: «Ich glaube nicht, dass Louisa so und so reagieren würde.» Oder: «Was? Sex? Das geht doch nicht.» Das ist die Kehrseite, wenn sich Lesende so leidenschaftlich mit einer fiktionalen Figur identifizieren und Anteil nehmen. Aber ich versuche, das als Kompliment zu sehen.

Wieso mögen so viele Menschen Ihre Protagonistin Louisa Clark?
Ich glaube, weil sie noch nie wirklich etwas aus ihrem Leben gemacht hat. Ihr Leben hob nie ab. So geht es vielen auf dieser Welt.

Gibt es ein drittes Buch mit ihr?
Ich denke darüber nach und habe bereits eine vage Idee. Ich möchte aber nichts überstürzen, es soll stimmig sein. Deshalb wird es nicht mein nächstes Buch sein.

Ihre Protagonistinnen führen ein Leben als Putzfrau, als Pflegerin, als Kellnerin. Sie sind geerdet, stark und unabhängig. Sind Sie Feministin?
Absolut. Ich bin eine kompromisslose Feministin. Ich bin besorgt, dass jüngere Frauen sich nur noch um ihr Aussehen kümmern. Das wird sie nie glücklich machen, weil jemand anders immer schöner sein wird. In meinen Büchern werden sie nie zwei Frauen sehen, die einander bekämpfen. In «Die Tage in Paris» buhlen aber zwei Frauen um denselben Mann. Nun gut, das gibt es auch bei mir. Aber nicht in diesem Hollywood-Stil, in dem sich zwei Frauen in einem Büro als Zicken aufführen und sich gegenseitig von der Karriereleiter stossen. Meiner Tochter möchte ich mit den Romanfiguren vermitteln, dass es keine tausend Franken teure Handtasche, Designerklamotten oder einen reichen Mann braucht, um glücklich zu sein. Viel eher soll sie sich fragen, wo sie helfen, wo sie etwas beitragen kann. Das ist es, was einen schliesslich erfüllt und glücklich macht.

Paris ist der Schauplatz in mehreren Ihrer Bücher. Was mögen Sie an dieser Stadt?
Paris ist meine Lieblingsstadt. Sie ist wunderschön, sie ist sinnlich, es geht um Essen, Trinken, Kunst. Ich mag es, dass man ältere Frauen in der Stadt sieht und sie nicht unsichtbar sind. Sie leben ein Leben in der Öffentlichkeit, essen, trinken, feiern. Ganz anders als in London, wo die meisten älteren Frauen zu Hause bleiben.

Sie schreiben oft in Paris, haben dort eine Mietwohnung. Wie ging es Ihnen nach den Attentaten, bei denen über 130 Menschen Fotos: starben?
Ich habe noch nicht realisiert, was passiert ist. Paris ist uns so vertraut, wir sind oft dort, wir kennen viele Leute. Wir sollten uns nicht dafür schämen, dass wir wegen Paris mehr trauern als bei anderen Tragödien. Es ist einfach so, dass uns manche Ereignisse mehr berühren als andere – einfach wegen der schieren Nähe. Wie soll man jetzt reagieren? Du tust, was du tust. Du trinkst, du triffst Freunde, du arbeitest. Und du zeigst jenen den Vogel, die dir weismachen wollen, dass dein Leben so nicht würdig ist.

Zurück zu Ihrer Tochter. Hat sie wirklich noch keines Ihrer Bücher gelesen?
Sie hat kein einziges gelesen – bis sie auf das Filmset von «Ein ganzes halbes Jahr» kam. Dort traf sie Sam Claflin, der die Hauptrolle spielt. Sie mochte ihn, und plötzlich hat sie sich entschieden, das Buch zu lesen. Ich würde sie nie zwingen, etwas von mir zu lesen.

Sind Sie glücklich darüber?
Es ist schön, weil sie jetzt versteht, was ich den ganzen Tag mache. Und lustigerweise will sie jetzt Englisch studieren.

Ihr gelähmter Protagonist aus «Ein ganzes halbes Jahr» geht in die Schweiz zur Sterbehilfeorganisation Dignitas, weil Sterbehilfe in England illegal ist. Wieso nahmen Sie dieses brisante Thema literarisch auf?
Unsere Gesellschaft ist in so vielen Bereichen urteilend, oft ohne Empathie. Die Botschaft dieses Buches ist, nicht zu urteilen. Es ist einfach, alles schwarz-weiss zu sehen, wenn man selber nicht in dieser Situation steckt. Ich habe gerade vier Tage am Sterbebett eines Menschen verbracht, den ich liebe. Und wenn ich es früher hätte beenden können, hätte ich das getan. Aber wir haben kein Recht dazu. Nur die betroffene Person selber hat die moralische Sicherheit in diesem Fall.

Könnten Sie sich vorstellen, selber Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen?
Ich wünschte mir, dass ich mir diese Frage nie stellen muss. Aber wer weiss? Wenn ich zum Beispiel gelähmt wäre und meine Zukunft total düster aussehen würde, kann ich es mir vorstellen. Es ist in diesem Moment wohl tröstend zu wissen, dass man die Macht hat, alles zu beenden.

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