Bergsteiger-Legende Reinhold Messner im grossen Interview
«Die Grünen dürfen nicht zu fundamentalistisch werden»

Reinhold Messner feierte kürzlich seinen 75. Geburtstag. Und veröffentlichte ein neues Buch: Es handelt von dem grossen Bergsteiger Wilhelm Welzenbach. Der kam – wie Messners Bruder Günther – am Nanga Parbat ums Leben.
Publiziert: 02.11.2019 um 23:27 Uhr
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Aktualisiert: 26.11.2019 um 10:10 Uhr
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Reinhold Messner wurde kürzlich 75 Jahre alt –  hier bei einer Wanderung in seiner Heimat im Südtirol.
Foto: keystone-sda.ch
Interview: Cyrill Pinto

Schloss Juval hoch über dem Vinschgau in Südtirol, Italien, ist einer von sechs Standorten der Messner-Mountain-Museen. Die Ausstellung in der mittelalterlichen Burg, in der Reinhold Messner lebt, ist dem Mythos Berg gewidmet. Der legendäre Bergsteiger wartet an diesem schönen Herbsttag draussen. Gleich soll eine kunstvoll geschnitzte Steinplatte aus Indien für seine Sammlung angeliefert werden. Messner hier zu interviewen, ist nicht einfach; alle paar Minuten wird er um ein Foto gebeten. «Wir sind hier am Arbeiten», sagt er – und posiert dann doch mit stoischer Freundlichkeit für Selfies, gibt Autogramme ...

Ist das hier jeden Tag so – wie halten Sie diesen Rummel aus?
Reinhold Messner: Ach, ich kann mich zurückziehen. Meine Wohnung auf Schloss Juval ist völlig abgeschottet vom Museum.

Sprechen wir über Ihr neues Buch. Es ist einem heute fast vergessenen Bergsteiger gewidmet: Wilhelm Welzenbach.
Als ich mit Bergsteigen anfing, war «Willo» Welzenbach ein grosser Name: Viele der schwierigsten Erstbegehungen gingen auf sein Konto – im Wallis und im Berner Oberland. Er war auf Eiswände spezialisiert, daher sein Übername «Eispapst». Weil die damals geltende Schwierigkeitsskala seine Routen nicht erfassen konnte, definierte er die Welzenbachskala. Sie galt bis 1978, lange nach seinem frühen Tod 1934.

In dem Buch erzählen Sie, wie Welzenbach in den 1920er-Jahren eine Expedition auf den Nanga Parbat führen wollte – und schon vorher aufgab …
Welzenbach war der Bergsteiger seiner Zeit – es gab Neider, die ihn sabotierten. Und Nazis, die ihn ausgrenzten. Die Alpinver­eine schlitterten damals in den ­Nationalsozialismus. Welzenbach ahnte zwar, was da passiert, konnte es aber nicht verhindern.

Als er schliesslich doch noch auf den Nanga Parbat kann, nutzen die Nazis seine Expedition bereits zur Propaganda.
Ja, sie hatten kurz nach der Machtergreifung 1933 alle Alpenvereine dem Reichssportführer unterstellt. Auch die Medien sind da bereits gleichgeschaltet und zeichnen das Bild einer völkisch-heldenhaften Expedition.

Die Nazis stilisierten den Nanga Parbat zum Schicksalsberg.
Mehrere Expeditionen aus dem Reich versuchten in den 30er-Jahren, den Achttausender im West-Himalaya zu bezwingen. Entweder schafften sie es nicht auf den Gipfel, oder sie starben – wie Welzenbach – beim Versuch. Mehrere Tage kämpfte er 1934 im Schneesturm ums Überleben – am Ende waren vier Expedi­tionsteilnehmer und sechs Sherpas tot. Eine weitere deutsche ­Expedition endete 1937 in der Katastrophe: 16 Leute starben in ­einer Lawine. Erst 1953 gelang die Erstbesteigung.

Sie waren 1970 am Nanga Parbat – mit einer Expedition unter Leitung von Karl Maria Herrligkoffer. Mit Günther Messner bezwangen Sie die 4500 Meter hohe Rupalwand, beim Abstieg verunglückte Ihr jüngerer Bruder tödlich.
Auch Herrligkoffer verherrlichte Werte aus der NS-Zeit. Und wir jungen Bergsteiger rebellierten gegen diese autoritäre und ­militärische Art, eine Expedition zum Gipfel zu führen – ganz klar. Offener Streit brach aus, als Herrligkoffer behauptete, mein Bruder sei oben am Berg umgekommen. Leider eignet sich der Alpinismus zu gut, um heroische Geschichten zu erzählen und von der Politik vereinnahmt zu werden. Von den Nazis, von der Sowjetunion, später von den Chinesen …

… und den Engländern, die den Everest gepachtet hatten.
Die Engländer waren in ihrem Tun immer Demokraten: Ihre ­Expeditionen waren offen für ­Alpinisten aus anderen Ländern. Und das Wichtigste: Bei ihnen gab es keinen Führer – sie trafen Entscheidungen gemeinsam. Ähnlich wie das jetzt im Parlament von Westminster getan wird: sehr nah und direkt – das ist extrem spannend zu sehen. Gleichzeitig fragt man sich, ob dieses System so noch trägt …

Wie meinen Sie das?
Die Demokratie stösst an ihre Grenzen, das sieht man am englischen System. Deshalb braucht es dringend Reformen, damit die Demokratie auch in Zukunft stark genug ist, um sich zu behaupten. Ein wichtiger Punkt ist wohl die Verteilung der Macht auf die Regionen – die Schweiz zum Beispiel hat ja bewiesen, dass sie genügend stark ist. Obwohl Ihr Land auch Schwächen hat.

Welche denn?
Ich bin überzeugter Europäer, vertrat die Grünen fünf Jahre im Europaparlament. Ich bin überzeugt, dass nur ein geeintes Europa bestehen kann – früher oder später wird sich auch die Schweiz diesem Projekt anschliessen.

Die Entwicklung geht derzeit in ein andere Richtung …
Ja, das stimmt. Aber das Südtirol ist eben gerade ein gutes Beispiel dafür, wie gut der Föderalismus in der EU funktionieren kann: In den 50er-Jahren war diese ­Re­gion hier die ärmste in Italien, inzwischen gehört sie zu den reichsten.

In der Schweiz haben die Grünen einen historischen Wahlsieg davongetragen …
Die Grünen profitieren natürlich von der Klimadebatte. Meine Erfahrung ist: Machen sie konkrete Sachpolitik, gute Vorschläge zur Umsetzung von Klima- und Naturschutz, dann gewinnen sie. Nicht aber wenn sie zu fundamentalistisch sind.

Im Augenblick machen junge Bergsteiger mit Rekordversuchen auf sich aufmerksam. Der 27-jährige Jost Kobusch will den Everest im kommenden Winter allein besteigen.
Das ist vorerst eine Ankündigung. Sie dient dazu, Klicks und Sponsorengelder zu generieren. Kobusch hat keine nennenswerte alpinistische Erfahrung vorzuweisen. Schon seine Ansage, er wolle den Everest über den Westgrat besteigen, weil dort der Jetstream weniger wehe, ist völliger Unsinn.

Der spanische Bergläufer Kilian Jornet stieg im Frühling 2017 zweimal in einer Woche auf den Everest – ohne Sauerstoff. Wird er Ueli Stecks Projekt, das sogenannte Hufeisen, vollenden?
Ich denke nicht. Jornet ist zwar konditionell sehr stark, alpinistisch jedoch zu unerfahren. Ich denke, er wird einen Speedrekord über die Südseite anpeilen. Im Gegensatz zu ihm war Ueli Steck erfahrener Alpinist, der zahlreiche Erstbegehungen schaffte. Zu seinen technischen Fähigkeiten kam seine Geschwindigkeit hinzu. Ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet, dass Steck in seinem Alter und mit seiner Erfahrung verunglückt – sein Tod war ein grosser Verlust für das Bergsteigen.

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