Seit den Lockdown-Lockerungen vom 11. Mai durch den Bundesrat jubeln viele in der Schweiz. Die Pizza im Restaurant, der Stepper im Fitnessstudio, das Cüpli mit der Freundin, dies ist wieder möglich.
Und doch gibt es Berufsgruppen, die nicht wissen, wie es mit ihnen weitergeht, weil sie nicht thematisiert wurden. Dazu gehören die Tausenden Referentinnen und Referenten. Zu ihnen gehört die bekannteste Schweizer Bergführerin Evelyne Binsack (52). «Der Wirtschafts-Shutdown ist für uns und einige andere Berufe komplett nicht durchdacht worden und wird nun auf diesen Schultern ausgetragen. Der Bundesrat verbietet uns zu arbeiten, weil Veranstaltungen nicht erlaubt sind und nicht einmal in Aussicht gestellt ist, wann dies wieder möglich ist.»
Die staatliche Unterstützung findet Evelyne Binsack erschreckend und demütigend
Die Berner Abenteurerin, die sich in den letzten Jahren einen guten Ruf in Unternehmen als Motivations-Referentin gemacht hat, fühlt sich schachmatt. Ihre Referate wurden bereits seit Februar bis Ende Dezember abgesagt. Es geht hier um eine Einbusse von fast einem Jahreslohn über 100'000 Franken. Letzten Monat habe sie vom Staat 1700 Franken ausbezahlt bekommen. «Im Verhältnis zu dem, was ich und auch andere Selbständige aus der Branche verlieren, ist das sehr erschreckend und demütigend.» Sie habe zwar noch Reserven und zwei kleine Liegenschaften, die sie vermietet.
«Ich überlebe schon, schreibe auch an einem neuen Buch und mache Coachings», so Binsack. Sie ergänzt: «Ich möchte auch im Namen meiner Berufskollegen und -kolleginnen sprechen. Dass sich jemand aus der Verzweiflung heraus vor dem Bundeshaus das Leben nimmt, ist keine Unwahrscheinlichkeit. Aber nur die wenigsten der vernichteten Existenzen gehen an die Öffentlichkeit, der Rest leidet im Stillen. Sie werden nicht gehört. Solidarität ist für mich zum Unwort des Jahres geworden, denn es wird sehr einseitig eingefordert.»
Das fordert sie nun vom Bundesrat
Die Frau, die als erste Schweizerin den Mount Everest bezwang, sieht ein weiteres zu wenig thematisiertes Problem, das globale Trauma. «Zuerst kam der Schock des Lockdowns, aber diesen betrifft wirtschaftlich die einen gar nicht und die anderen zu hundert Prozent. Dann folgten wir den Anweisungen. Doch was dies mit der Psyche von freiheitsgewohnten Menschen macht, das können wir noch gar nicht abschätzen, ich jedenfalls fühle mich, als hätte man einen wesentlichen Teil von mir amputiert.»
Um es aus ihrer Erfahrung zu beschreiben, als sie unter eine Lawine kam: «Wenn man mitten im Hang steht und sie bricht los, kann man die Zerstörung nicht absehen. Entweder du hast Glück oder nicht.» Ihre Forderung an den Bundesrat: «In dieser Ausnahmesituation alle selbständig Erwerbenden anzusehen und zu entlohnen, wie wenn wir fest angestellt wären. Nur so haben wir die Chance, dies wirtschaftlich zu überleben. Wenn dies gewährleistet ist, können wir uns um unseren psychischen Wiederaufbau kümmern.» Evelyne Binsack hofft, «dass ich nach zwei Monaten rastloser Zeit endlich wieder einmal durchschlafen kann».