Abstieg eines Statussymbols
Oscars verlieren an Glanz

Die Oscars verlieren – an Glanz und Publikum. Die Organisatoren haben die Zeichen der Zeit erkannt und lassen erstmals Fans mitbestimmen. Das freut nicht alle.
Publiziert: 05.03.2022 um 12:35 Uhr
Die Oscar-Verleihung soll wieder populär werden. Hier der US-Comedian Jimmy Kimmel, der 2018 die Verleihung moderierte.
Foto: Keystone
Lukas Rüttimann

Sagt Ihnen der Film «Nomadland» etwas? Falls nicht – keine Sorge. Es ist bloss der letztjährige Oscar-Gewinner in der Sparte «Bester Film». Das Sozialdrama räumte im grossen Stil ab: bester Film, beste Regie, beste Hauptdarstellerin, bestes Drehbuch und so weiter. Ein Publikumserfolg wurde das Roadmovie mit Frances McDormand («Fargo») in der Hauptrolle aber nicht.

«Nomadland», 2021: Ein trister Sieger in einem tristem Filmjahr. Im pandemiebedingt kleinen Rahmen wurde er als bester Film ausgezeichnet und blieb wie seine Vorgänger «Green Book» und «Moonlight» von den Massen eher unbeachtet.
Foto: keystone-sda.ch

Freilich lässt sich monieren, dass das auf dem Höhepunkt der Pandemie kein Wunder sei. Schliesslich waren die Kinos mehrheitlich geschlossen. Und auch die 93. Ausgabe der Academy Awards – wie die Oscar-Verleihung offiziell heisst – fand pandemiebedingt in ungewöhnlich bescheidenem Rahmen statt. Doch im TV verfolgen konnte man das Film-Jahres-Highlight durchaus. Und dort zeigte sich so deutlich wie noch nie: Das goldene Männchen hat an Glanz verloren. Lediglich knapp zehn Millionen Zuschauer schalteten in den USA noch ein (Gesamtbevölkerung: fast 330 Millionen). Zum Vergleich: Im Jahr 2014 sahen noch über 44 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer die Gala live im Fernsehen. Seither hat der Oscar einen brutalen Liebesentzug erfahren müssen.

Kluft zwischen Publikum und Academy wird grösser

Für den Niedergang gibt es verschiedene Gründe. Die Aufmerksamkeit des Publikums im Social-Media-Zeitalter ist stark umkämpft. Messen und Award-Shows müssen generell ein rückläufiges Interesse verzeichnen. Hinzu kommt, dass immer mehr Streaming-Anbieter um Zuspruch buhlen. Mit dramatischen Folgen: Der heutige Markt ist nicht nur gnadenlos übersättigt mit Produktionen aus aller Herren Länder. Er ist auch durch (zu) viele Anbieter verzettelt. Das führt dazu, dass Filme heute nicht mehr die Wirkung haben, die sie früher hatten.

«Forrest Gump», 1995: In einem Jahr voller Publikumshits setzte sich Tom Hanks als liebenswerter Depp durch. Der Kassenhit gewann den Oscar als bester Film, Fans und Kritiker waren sich für einmal einig.
Foto: Keystone

Ein Oscar-Gewinner wie «Forrest Gump» lief 1994 über Monate hinweg exklusiv im Kino. Tom Hanks und sein «Life is like a box of chocolates» («Das Leben ist wie eine Pralinenschachtel») wurde Teil der Popkultur. Heute muss sich der Oscar-Favorit «The Power of the Dog» auf Netflix gegen ein riesiges Angebot an anderen Filmen behaupten. Vor seiner Nomination dürften viele noch nie von ihm gehört haben.

«Gladiator», 2001: Könnte ein solcher Film heute noch den Oscar als «Best Picture» gewinnen? Vor 20 Jahren begeisterte Ridley Scotts Gladiatoren-Epos mit Russell Crowe die Massen und die Academy gleichermassen.
Foto: Getty Images

Bei den Oscars tobt zudem ein Kampf zwischen Academy und Publikum. Denn der Geschmack von Fachleuten und der der Fans driften immer weiter auseinander. Klar: Über Gewinner und Gewinnerinnen liess sich schon immer leidenschaftlich streiten. Doch der Spagat zwischen Kunst und Kommerz gelang früher besser. Oscar-Filme wie «Braveheart» (1996), «Titanic» (1998), «Gladiator» (2001) oder «No Country for Old Men» (2008) begeisterten Fans und Kritiker unisono. Das Jahr 1995 bot in der Kategorie «Bester Film» sogar ausschliesslich Publikumsrenner: neben «Forrest Gump» die Klassiker «Pulp Fiction», «Quiz Show», «The Shawshank Redemption» sowie «Four Weddings and A Funeral». Dagegen sieht die Liste der diesjährigen «Best Picture»-Nominierten fast schon schäbig aus. Zudem baut Hollywood politische und soziale «Woke»-Botschaften inzwischen selbst in Superhero-Filmen wie «Eternals» ein. Das hat Teile der Fangemeinde zusätzlich entfremdet.

«No Country for Old Men», 2008: Der Charme der Oscars bestand schon immer auch aus einem Herz für Schräges und Kunstvolles. Ein Film wie dieser Klassiker der Coen-Brüder schafft den Spagat zwischen Kunst und Kommerz perfekt.
Foto: Zvg

Neue Kategorien für neuen Glanz

In dieser Not wird der Oscar erfinderisch. Deshalb lässt man heuer zum ersten Mal das Publikum mitbestimmen. Bloss in zwei neuen, eher unwichtigen Kategorien. Aber immerhin. Am 13. Februar gab die Academy bekannt, dass das Publikum Teil der Oscar-Jury sein kann. Via Twitter konnte man seinen Lieblingsfilm und seinen Lieblingsfilmmoment wählen. Die Hashtags #OscarsFanFavorite und #OscarsCheerMoment werden vor der Gala ausgewertet, der Film mit den meisten Stimmen gewinnt. Ein simples Prinzip, mit dem die Kluft zwischen Fans und Kritikern verkleinert und – wichtiger noch – Aufmerksamkeit in den sozialen Medien generiert werden soll.

Ob das klappt, wird man sehen. Völlig neu ist diese Idee jedenfalls nicht. Bereits vor zwei Jahren versuchte die Academy, mit «The Best Popular Movie» eine neue, publikumsnahe Kategorie einzuführen. Diesen Plan kommentierte das «Rolling Stone»-Magazin mit dem Titel «WTF is the Academy thinking?» (Was zur Hölle denkt sich die Academy dabei?) – und verwies entsetzt auf 90 Jahre Tradition sowie die Verwässerung des wichtigsten Filmpreises in der Sparte «Best Picture». Letztlich wurde das Vorhaben fallengelassen. Doch allein der Vorschlag zeigt, wie verzweifelt der Oscar um Relevanz und letztlich um sein Überleben kämpft.

«Parasite», 2020: Die südkoreanische Produktion («Gisaengchung») gewann nicht nur den Oscar für den «besten fremdsprachigen Film», sondern auch für den «besten Film». US-Präsident Donald Trump war not amused.
Foto: imago images/ZUMA Press

Die Begeisterung für das Fan-Voting hält sich auch diesmal in Grenzen. Es wird befürchtet, dass die grossen Filmstudios die neue Möglichkeit nutzen, um für ihre Kassenschlager teure Kampagnen zu fahren und so die Abstimmung zu beeinflussen. Am Ende könnte denn auch nicht der beliebteste Film gewinnen, sondern jener mit der grössten Marketing-Power. Zudem dürfen am Voting nur US-Bürgerinnen und -Bürger teilnehmen. Das ist in einer immer globaleren Filmwelt ziemlich anachronistisch – 2020 gewann mit «Parasite» sogar erstmals ein koreanischer Film.

Doch wer weiss, vielleicht ist ein Sieg des unterhaltsamen, politisch aber völlig wertfreien Kassenschlagers «Spider-Man: No Way Home» als #OscarFanFavourite genau die Botschaft, die Hollywood in diesen Tagen braucht.

Die wichtigsten Oscar-Nominationen 2022

Bester Film
«Belfast», «Coda», «Don't Look Up», «Drive My Car», «Dune», «King Richard», «Licorice Pizza», «Nightmare Alley», «The Power of the Dog», «West Side Story»

Beste Regie
Kenneth Branagh mit «Belfast», Ryûsuke Hamaguchi mit «Drive My Car», Paul Thomas Anderson mit «Licorice Pizza», Jane Campion mit «The Power of the Dog», Steven Spielberg mit «West Side Story»

Beste Hauptdarstellerin
Jessica Chastain in «The Eyes of Tammy Faye», Olivia Colman in «The Lost Daughter», Penélope Cruz in «Parallel Mothers», Kristen Stewart in «Spencer», Nicole Kidman in «Being the Ricardos»

Bester Hauptdarsteller
Javier Bardem in «Being the Ricardos», Benedict Cumberbatch in «The Power of the Dog», Andrew Garfield in «Tick, Tick… Boom!», Will Smith in «King Richard», Denzel Washington in «Macbeth»

Bester Film
«Belfast», «Coda», «Don't Look Up», «Drive My Car», «Dune», «King Richard», «Licorice Pizza», «Nightmare Alley», «The Power of the Dog», «West Side Story»

Beste Regie
Kenneth Branagh mit «Belfast», Ryûsuke Hamaguchi mit «Drive My Car», Paul Thomas Anderson mit «Licorice Pizza», Jane Campion mit «The Power of the Dog», Steven Spielberg mit «West Side Story»

Beste Hauptdarstellerin
Jessica Chastain in «The Eyes of Tammy Faye», Olivia Colman in «The Lost Daughter», Penélope Cruz in «Parallel Mothers», Kristen Stewart in «Spencer», Nicole Kidman in «Being the Ricardos»

Bester Hauptdarsteller
Javier Bardem in «Being the Ricardos», Benedict Cumberbatch in «The Power of the Dog», Andrew Garfield in «Tick, Tick… Boom!», Will Smith in «King Richard», Denzel Washington in «Macbeth»


Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?