Seit Boutheyna Bouslama die Schweiz mangels Aufenthaltsbewilligung nach ihrem Studium an der Kunsthochsule HEAD in Genf verlassen musste, lebt sie in Istanbul. Vor einigen Jahren stiess sie dort an einem Filmfestival durch Zufall auf den Namen eines Kindheitsfreundes.
Bouslama ist in Syrien aufgewachsen, bevor sie in Frankreich lebte und von dort aus nach Genf zog. Oussama, so der Name des Freundes, wurde in einer Produktion erwähnt, an der er als Kameramann beteiligt war. So fand Bouslama auch heraus, dass er spurlos verschwunden war.
Innerhalb von drei Tagen entschloss sich Boutheyna Bouslama, nach dem vermissten syrischen Medienaktivisten, an den sie lebhafte Erinnerungen hat, zu suchen und darüber einen Dokumentarfilm zu drehen. Drei Jahre dauerte die Odysee, während der sie Freunde und Wegbegleiter des Vermissten traf und anhand derer Erzählungen ein berührendes Porträt eines Unsichtbaren schuf.
Die Jury, bestehend aus der Schweizer Regisseurin Ursula Meier, der deutsch-kurdischen Künstlerin Cemile Sahin und dem Schweizer UNO-Botschafter Mirko Manzoni, zeigte sich beeindruckt «von der Narration, der filmischen Handschrift und der deutlichen Haltung gegenüber der Leerstelle, die ihr Freund hinterliess», wie in der Medienmitteilung der Solothurner Filmtage zu lesen ist.
Bouslama mache mit ihrem Film nicht nur Oussama, sondern auch alle anderen Verschwundenen von Kriegen und vergessenen Konflikten sichtbar. Und zwar «mit einer Aufrichtigkeit, die viel öfter nötig wäre".
«A la recherche de l’homme à la caméra» ist eine Koproduktion der Genfer Produktionsfirma Close Up Films. Die Preissumme von 60'000 Franken geht je zur Hälfte an Regie und Produktion.
Ebenfalls ausgezeichnet wurde an der «Soirée de clôture», dem traditionellen Abschlussabend der 55. Solothurner Filmtage, «Baghdad in my Shadow". Der irakisch-schweizerische Regisseur Samir erhielt für seinen Spielfilm über einen gescheiterten Schriftsteller, eine untergetauchte Frau und einen homosexuellen IT-Spezialisten den mit 20'000 Franken dotierten «Prix du Public". Der Publikumspreis wurde dieses Jahr zum 13. Mal verliehen.
Die drei Protagonisten sind Teil einer irakischen Exilgemeinschaft, die täglich im Londoner Café Abu Nawas zusammenkommt und bald von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Mit den Schauplätzen London und Bagdad ist «Baghdad in my Shadow» die erste internationale Spielfilmproduktion, die seit dem Abzug der Amerikaner in der irakischen Hauptstadt gedreht wurde.
Wie vor wenigen Tagen an der Nacht der Nominationen, die ebenfalls jährlich im Rahmen der Solothurner Filmtage stattfinden, bekannt wurde, ist «Baghdad in my Shadow» in den Kategorien Bester Spielfilm, Bestes Drehbuch und Beste Montage für den Schweizer Filmpreis 2020 nominiert.
Die 56. Solothurner Filmtage finden vom 20. bis 27. Januar 2021 statt.
(SDA)