Als das Coronavirus ab Januar von China aus Europa erreichte, hielt man auch in der Schweiz den Atem an. Hohe Opferzahlen wurden befürchtet, wenn nicht schnell gehandelt würde. Land um Land entschied sich für den Lockdown, auch die Schweiz. Zwei schwierige Monate später atmen die Menschen wieder auf.
Die Corona-Fallzahlen sind inzwischen stark rückläufig und rechtfertigen keine harschen Lockdown-Massnahmen mehr. Läden und Betriebe öffnen wieder, am Samstagabend herrschte auf Schweizer Partymeilen wieder viel Betrieb. Social Distancing ist in Klubs nicht möglich – und scheint die Behörden auch nicht länger zu kümmern.
Rascher Wiederaufschwung
Denn wegen der Corona-Pandemie ist es nicht, wie befürchtet, zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit 1945 gekommen, wie das auch viele Fachleute befürchteten. Der Einbruch in verschiedenen Sektoren ist zwar massiv – insbesondere in der Reise- und Tourismusbranche. Laut «SonntagsZeitung» kommt beispielsweise Kuoni nicht um einen Stellenabbau herum und zeigt sich sogar für einen Zusammenschluss mit Hotelplan offen.
Kuoni rechnet dieses Jahr mit einem Umsatzeinbruch von bis zu 70 Prozent. Auch andere Sektoren werden hart getroffen, doch die Zeichen häufen sich, dass ein schneller Wiederaufschwung einsetzt. Restaurants und Läden werden bereits wieder rege besucht. Der Konsum ist zurück. Auch der Detailhandel und Freizeiteinrichtungen melden Besucherzahlen wie vor dem Lockdown, und seit einem Monat steigt die Zahl der neu ausgeschriebenen Stellen wieder.
Berg von überzähligen Schutzmasken
Derweil weiss die Schweiz nicht mehr wohin mit all den Masken – die zum Höhepunkt des Lockdowns Mangelware waren. Zwei Monate nach Ausbruch von Corona benützt sie kaum jemand mehr. Die Lager sind prall gefüllt, meldet die «NZZ am Sonntag».
90 Millionen bestellte Masken sind noch in China oder auf dem Weg in die Schweiz, 120 Millionen Masken befinden sich bereits in Lagern im Inland, 40 Millionen Stück wurden schon an Kantone und den Detailhandel verteilt. Was mit den überzähligen Masken passieren soll, ist offen.
Schwedens Sondergang
Hätte die Schweiz einen anderen Weg gehen können, um den Stillstand der Wirtschaft zu vermeiden? Hätte die Schweiz wie asiatische Länder reagieren sollen? Sie haben die Krise grösstenteils ohne hohe Todesraten überstanden, weil sie sofort auf Maskenpflicht und Social Distancing setzten. Und wie steht es um Schweden, das es anders als alle anderen macht? Es gab keinen Lockdown, sondern nur leichte Einschränkungen im täglichen Leben.
Schweden gesteht Fehler ein. In der Woche bis zum 29. Mai wies das Land die höchste gemeldete Pro-Kopf-Todesrate der Welt auf, was viele zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass die Strategie der Herdenimmunisierung gescheitert sei. Ergebnisse der ersten schwedischen Coronavirus-Antikörpertests am 20. Mai zeigten, dass zum Monatsbeginn nur 7,3 Prozent der in Stockholm getesteten Personen positiv waren.
Gleichzeitig wiesen die Nachbarn Norwegen, Finnland und Dänemark nur einen Bruchteil der Pro-Kopf-Todesrate auf, die Schweden aufweist. Sie alle haben Corona-Massnahmen inzwischen weitgehend aufgehoben, ohne dass ein Anstieg neuer Fälle zu verzeichnen ist. Schweden setzte während der Krise auf die Verantwortung des Einzelnen – und weist heute mit 4656 Todesfällen auch weit höhere Opferzahlen auf als die Nachbarn Dänemark (587), Finnland (322) und Norwegen (238). Dabei hat Schweden geringere Wirtschaftsausfälle zu beklagen.
Chef-Epidemiologe Tegnell gibt Fehler zu
Schwedens Chefepidemiologe Anders Tegnell (64), der Architekt von Schwedens Alleingang, sieht sich im Grossen und Ganzen vom begangenen Weg bestätigt, gibt aber auch Fehler zu. Schweden habe versagt, ältere Menschen genügend zu schützen. Mit Blick zurück, so Tegnell, könnten «Verbesserungen» vorgenommen werden.
In Schweden waren rund 62 Prozent der Opfer älter als 80. «Es gibt Dinge, die wir hätten besser machen können,» sagte Tegnell der schwedischen Zeitung «Dagens Nyheter». «Aber im Allgemeinen denke ich, dass Schweden den richtigen Weg gewählt hat.» Schwedens Hauptstrategie zur sozialen Distanzierung funktioniere nach wie vor «gut» und er könne «nicht erkennen, dass wir es auf eine völlig andere Art und Weise hätten tun sollen».
«Keinen Grund für zweite Welle»
Könnte Covid-19 auch ohne Impfstoff und Behandlung aus unserem Leben verschwinden? In diesem Jahrhundert wurde bereits der Ausbruch eines tödlichen Virus ohne globale Immunisierungsprogramme bekämpft.
Daran erinnert der renommierte Wissenschaftler David Haymann, Professor der Epidemiologie von Infektionskrankheiten an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. «Es gibt keinen Grund, warum wir eine zweite Welle haben sollten», so Haymann im Gespräch mit dem britischen «Telegraph».
Zuvor bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hatte Professor Heymann die globale Reaktion auf Sars geleitet, die Krankheit, die 2002 aus dem Sars-Cov-1-Coronavirus entstanden war und dem das heutige Virus so auffallend ähnlich ist, dass das aktuelle Virus nach dem Vorgänger benannt ist.
Schlüsselmonat Juli und Lob für die Schweiz
Sars habe sich rasch ausgebreitet, so Haymann, doch sechs Monate nach dessen Auftauchen galt es als eliminiert. Bald seien wir wieder bei der Sechsmonatsmarke angelangt. «Es wird wichtig sein, im Juli Bilanz zu ziehen, um zu sehen, wo sich dieses Virus befindet.»
Sars, sagt Haymann, sei auch nicht einfach von allein verschwunden. Vielmehr war es das Ergebnis der ersten globalen Reaktion des öffentlichen Gesundheitswesens, die sich dank moderner Kommunikationsmittel mehr oder weniger in Echtzeit entfaltete. Es gab Reiseverbote, Rückverfolgung und grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern.
Aktives Identifizieren von Fällen, Isolieren und selbst Kontakte unter Quarantäne stellen, diese Massnahmen hätten Ländern wie Deutschland und der Schweiz geholfen, «die jetzt weit voraus sind. Aber Asien hat es von Anfang an getan».