Den Richtungsentscheid hatte der Bundesrat bereits letzten Herbst gefällt. Am Freitag hat er nun die Botschaft zuhanden des Parlaments verabschiedet - am selben Tag, an dem er bekannt gab, dass er beim Rahmenabkommen mit der EU noch Klärungen verlangt.
Mit dem Entscheid, das Rahmenabkommen vorläufig nicht zu unterzeichnen, geht der Bundesrat auf Konfrontationskurs mit der EU. Mit dem gleichzeitigen Nein zur Begrenzungsinitiative signalisiert er, dass die Schweiz den bilateralen Weg fortsetzen will.
Hinter der Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» (Begrenzungsinitiative) stehen die SVP und die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns). Bei einem Ja hätte der Bundesrat ein Jahr Zeit, um mit der EU die Beendigung der Personenfreizügigkeit auszuhandeln. Gelingt das nicht, müsste er das Abkommen einseitig kündigen.
Das wäre ein «Schweizer Brexit» sagte Justizministerin Karin Keller-Sutter vor den Medien in Bern. Sie sprach von einem Spiel mit dem Feuer. Eine einseitige Kündigung entspräche einem ungeordneten Austritt aus dem bilateralen Weg.
Dass sich innerhalb eines Jahres eine einvernehmliche Lösung ergäbe, hält der Bundesrat nicht für realistisch. Keller-Sutter erinnerte an die Haltung der EU nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative und an das Kräftemessen rund um den Brexit.
Käme es zu einer einseitigen Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens, fielen wegen der «Guillotine-Klausel» alle anderen sechs Abkommen der Bilateralen I weg, schreibt der Bundesrat - und zwar bereits sechs Monate später und höchstwahrscheinlich ohne Nachfolgeregelungen. Es bestehe die reale Gefahr eines vertragslosen Zustands. Die Initiative nehme das in Kauf und stelle so den bilateralen Weg insgesamt in Frage.
Schon der Wegfall der Personenfreizügigkeit allein wäre ein Problem, sagte Keller-Sutter. Er würde viele Arbeitsplätze gefährden. Der Bundesrat erinnert daran, dass die EU der bedeutendste Handelspartner der Schweiz ist. Studien von 2015 kamen zum Schluss, dass ohne die Bilateralen I das Bruttoinlandprodukt in weniger als 20 Jahren um fünf bis sieben Prozent sinken würde.
Die Zuwanderung folge der wirtschaftlichen Entwicklung, hält der Bundesrat fest. In den ersten Jahren nach der Finanzkrise von 2008 sei die Wirtschaft in der Schweiz stärker gewachsen als in der EU. Entsprechend sei die Zuwanderung über mehrere Jahre angestiegen. Seit 2013 habe sich die Nettozuwanderung aus der EU nun aber von 60'000 auf 30'000 Personen halbiert.
Der Bundesrat anerkennt dennoch, dass die Zuwanderung auch mit Herausforderungen verbunden ist. Sie könne zu kompetitiven Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt führen, schreibt er. Es gelte daher, die bestehenden Steuerungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Dazu gehörten die flankierenden Massnahmen wie Meldepflicht und Kontrollen bei entsandten Arbeitnehmenden aus der EU sowie eine konsequente Umsetzung der Stellenmeldepflicht in Berufsarten mit hoher Arbeitslosigkeit.
Der Bundesrat lehnt die Initiative zwar ohne Gegenvorschlag ab, verweist in der Botschaft aber auf die zusätzlichen Massnahmen, die er vor kurzem beschlossen hatte, um inländische Arbeitskräfte zu unterstützen.
Keller-Sutter hatte bei der Präsentation dieser Massnahmen an das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative der SVP erinnert. Die Analysen hätten gezeigt, dass damals viele ältere Personen Ja gestimmt hätten - aus Furcht davor, aus dem Arbeitsmarkt verdrängt zu werden. Das müsse der Bundesrat berücksichtigen. Die geplanten Verbesserungen seien zwar ohnehin nötig, könnten aber im Abstimmungskampf zur Begrenzungsinitiative helfen.
Die meisten Massnahmen zielen auf ältere Arbeitnehmende ab. Im Zentrum steht eine Überbrückungsrente für ausgesteuerte Personen über 60 Jahre. Wer kurz vor der Pensionierung seine Stelle verliert und während der Dauer der Arbeitslosenentschädigung keine neue findet, soll nicht mehr in der Sozialhilfe landen. Laut dem Bundesrat geht es um rund 2500 Personen im Jahr.
Weiter will der Bundesrat mit einem Impulsprogramm das Beratungsangebot der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) für ältere Personen ausbauen und verbessern. Personen ab 40 Jahren sollen ausserdem eine kostenlose Standortbestimmung, Potenzialanalyse und Laufbahnberatung in Anspruch nehmen können.
Ein Ersatz für Arbeitskräfte aus dem Ausland sind diese Massnahmen aber nicht: Selbst wenn das inländische Arbeitskräftepotenzial bestmöglich ausgeschöpft werden könne, werde die Schweiz auch in Zukunft auf gut qualifizierte Personen aus dem Ausland angewiesen sein, mahnt der Bundesrat.
Über die Initiative wird als nächstes das Parlament beraten. Zur Abstimmung gelangt sie nicht vor 2020.
(SDA)