Es ist eng im provisorischen Hauptsitz der Zurich-Versicherung, wo uns Mario Greco empfängt. Die Führung ist zusammengerückt, die Wege sind kurz. Der Chef wirkt entspannt, das Jackett zieht er nur für den Fotografen über. Der Italiener nimmt sich viel Zeit – für ein beinahe philosophisches Gespräch. Es geht dabei mehr um den technologischen Wandel als um Versicherungen.
Viele Firmen verlagern Jobs ins Ausland. Sie tun das Gegenteil.
Mario Greco: Man muss nicht jeden Management-Trend mitmachen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das Auslagern von Arbeitsplätzen überhaupt nichts bringt, wenn es nur darum geht, Lohnunterschiede zwischen Ländern auszunützen. Auslagern bringt nur dann etwas, wenn extern die Kompetenz höher ist als intern.
Man kann Kosten senken.
Wenn eine Firma die Löhne in der Schweiz zu hoch findet, verlagert sie Arbeitsplätze nach Osteuropa, weil die Löhne dort im Moment noch tiefer sind. Nach einigen Jahren ist der Lohnunterschied ausgereizt, dann muss sie die Jobs wieder auslagern, zum Beispiel nach Asien. Später geht sie vielleicht nach Afrika. Das ist nicht nachhaltig, so kann man eine Firma nicht führen. Gesellschaftlich betrachtet ist Auslagern komplett falsch: So fügen Sie der Gesellschaft nur Schaden zu und gewinnen dabei nichts!
Also holen Sie Jobs zurück?
Ja, Zurich holt Jobs und Fähigkeiten, die wir an andere Firmen ausgelagert hatten, wieder in den Konzern. Zum Beispiel im Bereich Informatik, aber auch reine Verwaltungsjobs. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Auslagern in all diesen Fällen keinen Mehrwert geschaffen hat – weder für Zurich noch für unsere Kunden. Auch entsprach die Qualität der Dienstleistungen von Drittanbietern nicht immer unseren Erwartungen.
Wo waren die Arbeitsplätze, die jetzt zurückkommen?
Vor allem in Osteuropa. Aber sie kommen nicht alle in die Schweiz zurück, sondern gehen auch in die Ländergesellschaften, denen sie einst weggenommen worden sind.
Der Standort Schweiz wird also gestärkt. Andere denken darüber nach, den Konzernsitz ins Ausland zu verlegen. Machen Sie sich auch solche Gedanken?
Nein. Zurich ist so stark in der Schweizer Kultur verwurzelt, wir können den Hauptsitz wirklich nur hier in der Schweiz haben. Und zwar in Zürich, alleine schon wegen unseres Namens, der global eine sehr starke Marke ist. Dazu kommt: Die Schweiz steht für Neutralität, Verlässlichkeit und Stabilität. Das sind wichtige Eigenschaften, gerade für einen Versicherungskonzern.
Viele Branchen werden von der Digitalisierung durchgeschüttelt. Wie steht es bei Ihnen?
Die Veränderungen sind auch in unserer Branche gigantisch. Jahrzehntelang hat sich das Geschäftsmodell von Versicherungen nicht gross verändert. Nun sehen wir innert kürzester Zeit einen radikalen Wandel. Wäre der Schriftsteller Franz Kafka noch vor ein paar Jahren in sein Büro bei der Generali-Versicherung zurückgekehrt, also dorthin, wo er 1908 gearbeitet hatte –, er hätte fast alles unverändert vorgefunden. Käme er heute zurück, würde er überhaupt nichts mehr wiedererkennen. In der Versicherungsbranche findet gerade eine Revolution statt!
Eine Versicherung ist aber noch immer eine Versicherung ...
Früher dachten Versicherer wie Verkäufer: Wie überzeuge ich den Kunden, dass er bei mir eine Police abschliesst? Heute bestimmt der Kunde, welche Produkte und Dienstleistungen er beziehen will. Dank der verfügbaren Informationen ist das Geschäft heute transparenter, die Kunden können ihre Bedürfnisse viel besser definieren und kaufen die Versicherungsleistung, die sie wollen – und nicht jene, die ihnen aufgezwungen wird.
Die Transparenz ist gut für uns Kunden, aber nicht unbedingt günstig für Sie als Versicherungschef.
Nein, das ist auch gut für uns! Als Versicherer müssen Sie heute dem Kunden Dienstleistungen verkaufen, das ist viel befriedigender und wird erst noch geschätzt. Es macht eindeutig mehr Spass! Zudem geht es nicht nur um den Preis. Die Kunden wollen guten Service und sich auf ihre Versicherung verlassen können.
Aus den Daten werden Sie künftig viel mehr über Ihre Kunden wissen. Wie nutzen Sie das für die Prämiengestaltung?
Ein Beispiel: Die Daten des Autos können uns nicht nur genau sagen, wie viel jemand fährt, sondern auch wie risikoreich. Wir können die Kunden dank der Daten aber auch daran erinnern, dass die Pneus bald abgefahren sind. Oder bei Häusern: Da wird es bei Smart Homes alle möglichen Daten geben, so dass wir Kunden auf Mängel hinweisen können, bevor ein Schaden entsteht.
Vielleicht finden risikoreiche Autofahrer aber gar keine Versicherung mehr.
Unfallfahrer zahlen schon heute eine höhere Prämie. Und in Grossbritannien gibt es eine spezielle Versicherung für Autofahrer mit hoher Schadenhäufigkeit.
Ist die Welt risikoreicher geworden?
Sie erscheint uns immer gefährlicher, dabei haben die Risiken für den Einzelnen abgenommen. Das Risiko, in einen Autounfall verwickelt zu werden, ist geringer als vor zehn Jahren. Die Autos sind sicherer, es gibt elektronische Assistenten wie Abstandswarner und Geschwindigkeitsregler. Dasselbe gilt für Häuser. Das Risiko eines Brandes infolge Kurzschluss ist stark gesunken. Die Welt ist vielleicht risikoreicher geworden, aber die Wahrscheinlichkeit für den Einzelnen, Opfer eines Unfalls oder Schadenfalls zu werden, ist gesunken.
Wo liegen die Grenzen der Versicherbarkeit? Kann man sich zum Beispiel gegen Folgen des Klimawandels versichern?
Der Klimawandel und seine Folgen zeigen sich erst langfristig. Alles, was wir jetzt dagegen unternehmen, wird sich erst in vielen Jahren auswirken. Viel risikoreicher erscheinen mir heute Cyberangriffe.
Was verstehen Sie unter Cyberangriffen?
Die Welt ist immer stärker vernetzt. Deshalb können Attacken die Infrastruktur ganzer Städte oder gar Länder lahmlegen. Das macht mir wirklich Angst. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn alle Spitäler eines Landes über Tage geschlossen bleiben, weil die Computer nicht mehr funktionieren. Davon wären Tausende Leben bedroht. Cyberangriffe nehmen zu. Deshalb könnte bald der Punkt erreicht sein, an dem Versicherungen diese Risiken nicht mehr decken können, weil es zu teuer wird.
Und was bedeutet die Digitalisierung für den Arbeitsmarkt von morgen?
Schwierig abzuschätzen. Natürlich entstehen neue digitale Jobs. Unter dem Strich werden aber wohl mehr Jobs verschwinden. Das verändert unsere Gesellschaft radikal. Sie ist deshalb verunsichert, droht aus dem Gleichgewicht zu geraten. Es sind grosse Fragen, auf die wir noch keine Antworten haben. Auch die Demokratien sind herausgefordert: Wir können uns in der Schweiz oder anderswo an der Urne gegen etwas entscheiden – doch wenn es globale Entwicklungen sind, dann kommen sie trotzdem, auch wenn wir dazu Nein sagen. Wir Menschen erschaffen gerade eine neue Welt, ohne abzusehen, wie sie dereinst sein wird!
Amazon will künftig Versicherungen anbieten. Bislang hat der US-Gigant jeden Markt aufgemischt, in den er einstieg. Haben Sie vor dieser Entwicklung Angst?
Nein. Amazon ist kein Versicherungskonzern, sondern eine Verkaufsplattform. Für uns bietet sich gar die Chance, unsere Produkte so zu vertreiben. Wenn unsere Kunden das wünschen, dann machen wir das. Wir bei Zurich tun alles, um den Wünschen unserer Kunden zu entsprechen.
Mario Greco (58) steht seit März 2016 an der Spitze der Zurich Insurance Group. Der gebürtige Neapolitaner kennt Zurich und die Schweiz bestens: Bevor er zwischenzeitlich den italienischen Versicherer Generali leitete, hatte er schon verschiedene Spitzenpositionen bei dem Schweizer Versicherungskonzern inne. Als Ausgleich zum Job als Konzernchef fährt der Vater von zwei erwachsenen Söhnen gerne Rennvelo.
Mario Greco (58) steht seit März 2016 an der Spitze der Zurich Insurance Group. Der gebürtige Neapolitaner kennt Zurich und die Schweiz bestens: Bevor er zwischenzeitlich den italienischen Versicherer Generali leitete, hatte er schon verschiedene Spitzenpositionen bei dem Schweizer Versicherungskonzern inne. Als Ausgleich zum Job als Konzernchef fährt der Vater von zwei erwachsenen Söhnen gerne Rennvelo.
Rennvelo oder Rennauto? Rennvelo.
Analog oder digital? Digital.
Bank oder Versicherung? Versicherung.
Über- oder unterversichert? Überversichert.
Berater oder Entscheider? Entscheider.
Rennvelo oder Rennauto? Rennvelo.
Analog oder digital? Digital.
Bank oder Versicherung? Versicherung.
Über- oder unterversichert? Überversichert.
Berater oder Entscheider? Entscheider.