Wirtschaftsprofessor erklärt den Wachstumszwang
«Bullshit-Jobs garantieren Vollbeschäftigung»

Der Zwang zum Wachstum hat die Wirtschaft fest im Griff – und damit auch Arbeitnehmer und Konsumenten. Einen Ausweg gibt es kaum, sagt Professor Mathias Binswanger.
Publiziert: 07.09.2019 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 09.09.2019 um 08:23 Uhr
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In seinem Buch «Der Wachstumszwang» erklärt der Ökonom Mathias Binswanger, warum wir immer weiter wachsen müssen.
Danny Schlumpf

Die Exportindustrie schlägt Alarm: Im ersten Halbjahr sind die Ausfuhren zurückgegangen – und im zweiten Halbjahr die Bestellungen. Der Branchen­verband Swissmem fordert deshalb vom Bundesrat dringend Massnahmen gegen den Abschwung.

Der Stress der Exportindustrie ist symptomatisch für unsere Wirtschaft. Sie ist getrieben von Angst. Und das schrecklichste aller Schreckgespenster heisst Wachstumsstopp.

Warum das so ist? «Ohne Wirtschaftswachstum kann die Mehrheit der Unternehmen keine Gewinne machen», sagt Mathias Binswanger (56). «Und ohne Gewinne gehen sie in Konkurs.» Die Folgen wären nach Auffassung des Wirtschaftsprofessors an der Fach­hochschule Nordwestschweiz in Olten SO Entlassungen.

Auch der Staat will Wachstum fast um jeden Preis

Daraus würde ein Konsumrückgang entstehen, der wiederum zu weiteren Gewinneinbrüchen führte. Binswanger: «Eine unausweichliche Abwärtsspirale.»

Sein neustes Buch «Der Wachstumszwang» stellt deshalb kategorisch fest: Die Wirtschaft kann ihr Niveau gar nicht halten. Sie kann nur wachsen – oder schrumpfen. Und schrumpfen will niemand.

Entscheidende Treiber dieses Zwangs zum Wachstum sind börsenkotierte Unternehmen, die ihre Manager mit hohen Bonuszahlungen anstacheln, immer höhere Gewinne zu erzielen und die Aktionäre so bei Laune zu halten.

Unterstützung erhalten sie dabei vom Staat. Auch der will nämlich Wachstum um fast jeden Preis. Denn Wirtschaftsflauten bedeuten für ihn Steuerausfall.

Wachstum lässt spezielle Manager-Jobs entstehen

Also wächst die Wirtschaft weiter. Daran sind aber unmittelbar immer weniger Menschen beteiligt, weil immer mehr von ihnen in der Produktion von Maschinen und Computern verdrängt werden. Massenarbeitslosigkeit drohe dennoch nicht, sagt Ökonom Binswanger. «Stattdessen entstehen immer mehr sinnlose Berufe, sogenannte Bullshit-Jobs.» In diesen Berufen verwalten, messen, werten sie nur noch aus. Sie verdienen ihr Geld als Manager, Berater, Zertifizierer, Controller oder Evaluatoren. Wa­rum gibt es solche Jobs? Binswanger: «Um Vollbeschäftigung zu garantieren.»

Auch der Staat baut sein ­Arbeits­platz-Angebot ununterbrochen aus, besonders im Bildungs- und Gesundheitsbereich. Und für die zunehmende Zahl von Gesetzen und Verordnungen braucht es eine wachsende Zahl von Juristen, die diese Texte verfassen, sowie weitere Fachleute, die sie verstehen und auslegen: Anwälte für Arbeitsrecht, Baurecht, Immobilienrecht, Erbrecht, Familienrecht, Haftpflichtrecht, Versicherungsrecht und Strafrecht. 2003 zählte der Schweizerische Anwaltsverband 9000 Mitglieder. 2017 waren es bereits 13'000.

Solche Wachstumsblüten sind vertretbar, solange der Wohlstand die Menschen zufriedener macht. Bloss sind die Menschen in Ländern wie der Schweiz heute an einem Punkt angelangt, an dem die wirtschaftliche Expansion ihr Wohl­befinden längst nicht mehr steigert, sondern beispielsweise gravierende Umweltschäden verursacht.

Verkaufen, verkaufen, verkaufen 

Immer mehr Menschen stellen das Wachstum deshalb infrage. Selber daran ändern können sie allerdings wenig: «Wachstum wird zunehmend von der Option zum Zwang», sagt Binswanger.

Dieser Negativtrend gehe keineswegs von gierigen Konsumenten aus, die von Natur aus immer mehr und mehr haben wollen. «Im Gegenteil», meint Binswanger: «Es sind die gewinnmaximierenden Unternehmen, die Menschen dazu treiben müssen, immer mehr zu konsumieren.»

Um Gewinne zu steigern, reicht es längst nicht, immer mehr Produkte und Dienstleistungen anzubieten, sie wollen auch verkauft werden. Kein Wunder, wächst der Konsum in den modernen Industriegesellschaften von Jahr zu Jahr munter weiter.

«Konsumenten verlieren Souveränität»

Dazu gehören zwar auch notwendige Dinge wie Nahrung, Kleidung und Wohnungseinrichtung. Doch weil der Bedarf der meisten Menschen in wohlhabenden Ländern ausreichend gedeckt ist, hat die Werbung umgestellt: Nun wächst der Anteil an Produkten und Dienstleistungen, die lediglich den Status der Käufer erhöhen sollen: das schnellere Auto, die moderneren Jeans, das neuste Smartphone ...

Die «Konsumenten» wollen solche Statussymbole besitzen, weil sie von der Marketingindustrie dazu getrieben werden. Denn – wie gesagt – die Unternehmen müssen wachsen, weil ihnen ohne Gewinne der Konkurs droht. «In diesem Sinne führt Wachstumszwang tatsächlich zur Fremdbestimmung», sagt Binswanger. «Die Konsumenten verlieren ihre Souveränität.»

Ein Ende der Spirale ist nicht in Sicht. Neuste Studien zeigen: Mehr als 40 Prozent der Angestellten in Schweizer Unternehmen leiden wegen dauernder Umstrukturierungen und neuer Jobprofile unter Stress und an Burn-out.

Auch das trägt zum Wachstum bei: Lebensberater, Mentaltrainer, Job-Coaches und Psychologen sind gefragter denn je.

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