Wirtschaftsexperte Werner Vontobel ordnet ein
Rentenreform – so geht es nicht

Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist klar: Der Versuch, die Renten über die Sanierung der 2. Säule zu sichern, dämpft die Nachfrage stärker als der Corona-Lockdown.
Publiziert: 11.06.2020 um 08:08 Uhr
|
Aktualisiert: 11.06.2020 um 10:33 Uhr
1/7
Für BLICK-Wirtschaftsexperten Werner Vontobel ist klar: Die Renten über die Sanierung der 2. Säule zu sichern, dämpft die Nachfrage stärker als der Corona-Lockdown.
Foto: Paul Seewer
Werner Vontobel

Der Schweizer Wirtschaft fehlt es an Nachfrage: Trotz einem Exportüberschuss von satten 12 BIP-Prozenten haben wir eine Unterbeschäftigung von gut 5 Prozent: Der Konsum hinkt weit hinter der Produktivkraft der Wirtschaft hinterher. Das liegt nicht zuletzt an den Rentnern. Weil sie pro Kopf (gemessen am Einkommen der Paarhaushalte) 34 Prozent weniger verdienen als die Aktiven, geben sie auch 15 Prozent weniger aus. Tiefere Renten wären schlecht für die Volkswirtschaft - was niemand ernsthaft bestreitet.

Nun ist aber aus versicherungsmathematischer Sicht klar, dass die Pensionskassen-Renten wegen den sinkenden Zinsen und der steigenden Lebenserwartung um rund 30 Prozent sinken werden. Um dies zu vermeiden, müssen die Pensionskassen ihr Kapital massiv aufstocken. Je nach Annahmen betreffend Zins und Lebenserwartung geht es dabei um 300 bis 500 Milliarden Franken.

Schleichendes Gift

Doch es kommt noch dicker: Damit man mit – sagen wir – bloss 2 statt 3,5 Prozent Zins über 40 Beitragsjahre 30 Prozent mehr Kapital ansparen kann, müssen die Beitragssätze um nicht weniger als 82 Prozent angehoben werden. Reine Versicherungsmathematik. Statt bisher rund 50 müssen die Arbeitgeber und –nehmer also gut 90 Milliarden Franken jährliche Beiträge zahlen. Das ist die Logik des Kapitaldeckungsverfahrens: Bevor man mehr konsumieren kann, muss man den Konsum erst jahrelang stark einschränken.

Das mag das richtige Rezept sein für ein Land, das mehr sparen und investieren muss. Für eine Volkswirtschaft, die eh zu viel spart, ist es aber ein schleichendes Gift. 40 Milliarden mehr Beiträge schränken den Konsum in etwa gleich stark ein, wie der Lockdown – und zwar nicht nur einmal, sondern Jahr für Jahr.

Die Pensionskassen-Lobby geht deshalb scheibchenweise vor. Sie fordert vorerst nur eine Senkung des Umwandlungssatzes auf von 6,8 auf 6 Prozent. Die entsprechende Rentensenkung um 12 Prozent will sie mit Massnahmen kompensieren, die jede für sich harmlos klingen – Beitragspflicht schon ab 20 statt 25 Jahren, weniger Koordinationsabzug, mehr Einzahlungen in die 3. Säule etc. Im Endeffekt ist das aber doch der Einstieg in eine massive Nachfragesenkung.

AHV stärken – nicht nur 2. Säule

Dabei liegt eine volkswirtschaftlich verträgliche Lösung auf der Hand: Wir müssen die Renten im Umlageverfahren sichern. Wenn wir statt jährlich 40 zusätzliche Milliarden in die 2. Säule zu buttern nur schon die Hälfte davon in die AHV einzahlen, könnten wir deren Renten um gut 40 Prozent erhöhen und damit einen soliden Beitrag zur Steigerung der Nachfrage und zum sozialen Frieden leisten.

Wer jetzt «Umverteilung!» und «systemwidrig!» schreit, hat recht. Das ist systemwidrig. Aber es richtet sich gegen ein System, das früher einmal nützlich war, unter den aktuellen Umständen aber leider eine extrem wirtschafts- und wohlstandswidrige Wirkung entfaltet. Oder vielmehr entfalten könnte, wenn wir stur daran festhalten würden.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.