Whistleblower bringen mehr Vergehen ans Licht
Report enthüllt tausende Verstösse bei Schweizer Firmen

Mehr Arbeit für Whistleblower: Der «Whistleblower Report 2019» enthüllt bei Schweizer Firmen letztes Jahr eine deutliche Zunahme von Meldungen. Wie BLICK weiss, greifen die Firmen nach Meldungen hart durch.
Publiziert: 15.05.2019 um 11:35 Uhr
|
Aktualisiert: 15.05.2019 um 13:03 Uhr
1/10
Sie erstellten den «Whistleblower Report 2019»: Professor Christian Hauser (l.) von der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur und Moritz Homann von der Software- und Beratungsfirma EQS Group.
Foto: Zvg
Claudia Gnehm

Eine Whistleblowingstelle gehört für Schweizer Firmen inzwischen zum guten Ton. Bei den Grossunternehmen verfügten letztes Jahr 71 Prozent über eine solche Meldestelle, wie dem «Whistleblower Report 2019» zu entnehmen ist, der heute von der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur und der Software- und Beratungsfirma EQS Group in Zürich vorgestellt wurde.

Bereits bei der letzten Erhebung für das Jahr 2016 waren es 70 Prozent. Der Anteil Meldestellen bei Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) erhöhte sich von 10 auf 50 Prozent.

Unter illegalem Verhalten werden Fälschungen von Finanzdaten, Wirtschaftsspionage, Korruption, Bestechung, Diebstahl und Betrug verstanden. Als «unethisch» gilt Verhalten, das ethische Standards im Bereich Umweltschutz, Arbeitsrecht oder Steuerrecht untergräbt.

Hinweisgeber bei Grossfirmen sehr aktiv

Obschon die Anzahl von Whistleblowingstellen in Grossunternehmen hierzulande stabil blieb, nahmen die Meldungen deutlich zu. Der Anteil von Grossfirmen, bei denen Meldungen eingingen, erhöhte sich um einen Fünftel auf 40 Prozent. Bei den KMU sind es 25 Prozent (2016: 5 Prozent), wie aus dem Report weiter hervorgeht.

Konkret werden diverse Meldestellen regelrecht auf Trab gehalten, wie Recherchen von BLICK zeigen. Die Whistleblower-Plattform des Baustoffriesen LafargeHolcim etwa registrierte letztes Jahr 801 Meldungen (2017: 341). «Sie standen im Zusammenhang mit vermeintlichen oder tatsächlichen Verstössen gegen unseren Verhaltenskodex», erklärt LafargeHolcim-Sprecher Eike Meuter dem BLICK.

Migros entlässt zwei Mitarbeiter nach Hinweisen

Nestlé wiederum veröffentlicht die Meldungen seiner internen und externen Whistleblowing-Stellen freiwillig. Intern gingen letztes Jahr 1837 Meldungen ein. Fast ein Drittel davon prangert den Führungsstil von Vorgesetzten an. Novartis wurde weltweit mit 915 Meldungen konfrontiert. Sie lösten die Entlassung von 311 Angestellten aus.

Die Meldestelle der Migros, die nur für interne Mitarbeiter gedacht ist, verzeichnete im Inland nur 25 Meldungen. «Die Meldungen führten zu zwei Entlassungen», sagt Migros-Sprecherin Cristina Maurer Frank auf Anfrage.

Bei Coop sei eine Meldestelle erst im Aufbau, sagt Coop-Sprecherin Andrea Bergmann. Mitarbeitende könnten sich an einen unabhängigen Sozialdienst wenden.

Post-Angestellte haben Zeiterfassung manipuliert

Die Post wiederum reagiert sofort auf externe und interne Meldungen, die bei ihrem Whistleblowing-Kanal Postcourage landen. Den Mut einen Hinweis zu machen, brachten letztes Jahr 13 Personen auf, wie Post-Sprecher François Furer offenlegt. In der Folge wurde zwei Mitarbeiter entlassen. Die zwei Gefeuerten hätten ihre Zeiterfassung manipuliert, heisst es aus Post-Kreisen.

In der Schweiz gibt es im Gegensatz zur EU keinen Schutz für Whistleblower. Dies obwohl das Melden von Unregelmässigkeiten am Arbeitsplatz nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts unter gewissen Umständen zulässig sein kann. Allerdings geniessen etwa SBB-Mitarbeitende, die gutgläubig vermutete Compliance-Verstösse melden, einen Kündigungsschutz, wie SBB-Sprecher Christian Ginsig betont.

Keine Zahlen von SBB und Swisscom

Die SBB geben keine Zahlen über Meldungen heraus, ebenso wenig die Swisscom. Auch der Telekomkonzern hebt hervor, dass Whistleblower vor Kündigung und Diskriminierung geschützt seien.

Der «Whisteblower Report 2019», für den in der Schweiz 365 Firmen befragt wurden, wurde erstmals auf Deutschland, Frankreich und Grossbritannien ausgeweitet.

Im Ländervergleich fiel den Autoren auf: «In Schweizer Unternehmen treten zwar tendenziell seltener Missstände auf, doch die finanziellen Schäden für Unternehmen sind in der Regel höher als in den drei anderen Ländern.»

Über 21 Prozent der Schäden bei Schweizer Firmen kamen auf über 100'000 Euro zu stehen. In Deutschland (18 Prozent), Frankreich (14 Prozent) und Grossbritannien (13 Prozent) liegen weniger Schäden über dieser Schwelle.

Whistleblower zeigen Schaden erst auf

Der Schaden setzt sich zusammen aus Aufwendungen, die aufgrund der Missstände direkt oder im Zuge deren Aufdeckung und Aufarbeitung entstanden sind.

Die Untersuchung in der Schweiz ergab, dass die Hälfte der Unternehmen dank der Meldestelle zwischen 21 und 60 Prozent eines finanziellen Gesamtschadens aufdecken konnten.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.