Im Juli hatte Raiffeisen-CEO Patrik Gisel (56) angekündigt, auf Ende Jahr zurückzutreten. Damit wolle er nach eigenen Worten der Bank nach der Affäre um den gefallenen Ex-Chef Pierin Vincenz (62) einen unbelasteten Neubeginn ermöglichen. Letzterer hatte sich mutmasslich mit krummen Geschäften bereichert. Obwohl jahrelang die Nummer 2, wurde Gisel in verschiedenen Untersuchungen kein Fehlverhalten nachgewiesen.
BLICK weiss aus seinem Umfeld: Jetzt ist alles anders. Gisel – er arbeitete bis zuletzt mit Volldampf für seine Bank – tritt per sofort ab! Im Laufe dieser Woche sei er zum Schluss gekommen, dass dieser Schritt besser sei für seine Bank und für ihn selber – auch wenn es ihm sehr schwerfalle. Doch es diene der Bereinigung und einem unbelasteten Neuanfang unter dem neuen Verwaltungsratspräsidenten Guy Lachappelle (57), der am Samstag gewählt wird. Und es sei ihm wichtig, den Entscheid aus freien Stücken zu fällen.
Gisel wird seinen Schritt morgen Samstag an der Delegiertenversammlung von Raiffeisen Schweiz offiziell machen. Damit geht Gisel knapp zwei Monate früher als geplant. Auslöser dafür ist eine private Beziehung, die diese Woche publik wurde.
Verheimlichte Beziehung
Und das kam so: BLICK hat vorige Woche herausgefunden, dass Gisel seiner Arbeitgeberin, der Raiffeisen Schweiz, eine Beziehung mit Laurence de la Serna (50) verschwiegen hat.
Die Chefin der Genfer Flugzeugturbinen-Firma Jean Gallay sass bis vergangenen Juni im Raiffeisen-Verwaltungsrat. In jenem Gremium also, das Gisel überwacht. Und ihn im vergangenen Frühjahr, als sein Stuhl wackelte, nicht absetzte. Kaum war de la Serna nicht mehr im Verwaltungsrat, hat Gisel seinen Rücktritt auf Ende Jahr verkündet.
Die Liebschaft ist aus der Perspektive einer einwandfreien Geschäftsführung von Interesse. War de la Serna aus Zuneigung gegenüber Gisel weniger kritisch, als sie es hätte sein sollen?
BLICK hat Raiffeisen, de la Serna und Gisel vergangene Woche mit der Liebschaft konfrontiert. Raiffeisen selbst blieb wortkarg: «Wir äussern uns nicht zum Privatleben von Patrik Gisel.» Nur de la Serna stand dazu: «Je suis attachée à Monsieur Gisel et cela depuis peu.» Auf Deutsch: Ja, ich bin mit Herrn Gisel zusammen, aber erst seit kurzem. Was sie damit sagen will: Erst seitdem sie nicht mehr im Raiffeisen-Verwaltungsrat sitze.
Gisel antwortete nicht auf die BLICK-Anfrage. Er erzählte jedoch am Freitag intern den Geschäftsleitungs-Kollegen und dem Verwaltungsrat von der Beziehung.
Dokumente als Beweis
Die Verwaltungsräte fielen aus allen Wolken, als sie feststellen mussten, dass ihnen der CEO die Liaison verschwiegen hatte. Sie machten Gisel Vorwürfe: Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als die Bank wegen der Affäre Vincenz im schlimmsten Image-Tief ihrer Geschichte steckte, begann der oberste Krisenmanager eine Beziehung mit einer seiner Aufpasserinnen. Derweil beteuerte Gisel, die Beziehung habe erst nach de la Sernas Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat begonnen, und legte auch umfangreiche Dokumente vor, die das belegen sollen.
In diesem Fall wäre die Beziehung Privatsache. Und weil sich der zeitliche Ablauf nicht beweisen lässt, hat BLICK aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes diese private Geschichte nicht publiziert. Sie erschien dann im «Tages-Anzeiger», mit Berufung auf anonyme Verwaltungsräte. Gemäss diesen erwäge der Verwaltungsrat, Gisel nach seiner Beichte zum Rücktritt zu drängen.
Arbeitsrechtlich ist einzig von Belang, wann die Beziehung begonnen hat. Erst im Juli, als kein Interessenkonflikt mehr bestand? Oder doch früher? Stutzig macht das Raiffeisen-Communiqué vom April, in dem de la Sernas Rücktritt nach nur einem Jahr bekannt gegeben wurde. Darin stand, dass zu ihren Motiven auch «persönliche Gründe» zählten.
Bleibt die Frage, wann Gisel den Verwaltungsrat über die Liaison hätte informieren müssen. Das Gesetz gibt darüber keine Auskunft. Michael Bopp (46), Jurist bei einer Zürcher Kanzlei: «Man kann es niemandem verbieten, sich zu verlieben. Aber in einer solchen Situation sollte nicht einmal der Anschein eines Interessenkonflikts entstehen. Von Personen auf dieser Hierarchiestufe darf man eine Offenlegung verlangen.»