Keiner versteht sich besser auf die Erklärung von Spekulationsblasen als Robert Shiller (71). Der US-Ökonom sah sowohl die New-Economy-Krise 2001 wie den Subprime-Crash 2007 voraus. Kein Wunder, war Shiller am WEF 2018 ein gefragter Mann. Alle wollten von ihm wissen, was vom derzeitigen Boom an den Aktienmärkten zu halten sei.
SonntagsBlick: Herr Shiller, haben wir eine Blase an den Märkten?
Robert Shiller: Es gibt Anzeichen dafür. Wenn Preise über einen längeren Zeitraum steigen, reden die Leute darüber. In den Medien häufen sich Storys über Erfolg und Reichtum, Experten erzählen, dass jetzt eine neue Ära anbreche, in der alles anders sei. Das führt dazu, dass auch Leute in den Aktienmarkt investieren, die das sonst nicht tun. Sie sagen sich: «Ich bin zu ängstlich im Leben, ich muss etwas wagen.» Deshalb investieren sie und sind stolz darauf, dass sie dabei sind. Das gehört zur Stimmung einer Blase.
Also ist Ihre Antwort: «Ja, es gibt eine Blase.»
Es ist keine perfekte Blase. Denn neben dem Optimismus spielt auch Angst eine Rolle. Die Leute lesen und hören ständig von der Automatisierung und fürchten, dass sie den Job verlieren oder ihre Kinder später keinen Job mehr finden könnten. Deshalb kaufen sie Häuser und Aktien. Weil sie denken, das seien Sicherheiten für sie und ihre Kinder.
Dass man Häuser in dieser Situation kauft, leuchtet ein. Aber warum Aktien?
Die Leute wollen nicht nur die Opfer der Digitalisierung sein, sie wollen dazugehören. Deshalb sind Aktien von Techfirmen so attraktiv. Die Leute glauben, dort sei die Macht. Dasselbe gilt für Bitcoin. Eine Kryptowährung ist ähnlich glamourös wie Techaktien. Die Leute haben das Gefühl, sie gehörten zur Techwelt dazu, wenn sie Bitcoin kaufen.
Viele vergleichen die Stimmung heute mit 2006. Damals waren die Märkte ebenfalls euphorisch, dann kam die Finanzkrise.
Es gibt Unterschiede zu damals. Die Leute sind heute kurzfristig sehr optimistisch für den Aktienmarkt, gleichzeitig halten sie die Preise für überhöht. Das macht den Markt verletzlich. Es gibt aber nur wenig Angst vor einem Crash. Trump stützt den Markt. Die Leuten denken: «Wir haben einen Präsidenten, der für den Markt und gegen Regulierungen ist.»
Der nach Ihnen benannte Shiller-Index zeigt an, ob die Märkte über- oder unterbewertet sind. Wo stehen wir heute?
Der Index steht bei 33, der langfristige Durchschnitt beträgt 16. Das ist beunruhigend. Aber der Markt ist schon seit langer Zeit über dem Durchschnitt.
Der Chef von ABB zum Beispiel sagt, er wolle dank Digitalisierung Jobs aus Billiglohnländern nach Europa und den USA zurückbringen. Halten Sie das für realistisch?
Das geht nur, wenn radikal automatisiert wird. Das bedeutet aber, dass nur wenige Jobs geschaffen werden und nur solche für ein paar Automatisierungsspezialisten. Die Jobs der Arbeiter kommen nicht zurück. Wenn breite Teile der Bevölkerung ihre Arbeit und ihre Perspektive verlieren, führt das zu sozialen Unruhen. Das ist sehr gefährlich, und ich glaube, dass etwas dagegen getan werden muss.
Was?
Wenn sich die Ungleichheit weiter verschärft, müssen die Reichen stärker besteuert werden. Wir brauchen ein neues Steuersystem, um die Ungleichheit zu mildern. Negative Einkommenssteuern sind eine Möglichkeit.
Sie wollen die Folgen von Jobverlust mit mehr Sozialhilfe auffangen?
So einfach geht das nicht. Sozialhilfe tönt nach Almosen. Das ist etwas für Verlierer. Deshalb hat Trump ja gewonnen. Er hat den Leuten nicht gesagt, dass er die Sozialhilfe erhöht. Er hat ihnen gesagt, sie würden zu den Gewinnern gehören, wenn er das ganze Land wieder grossartig macht. Man muss sich überlegen, ob die Regierungen nicht Firmen, die Arbeitsplätze schaffen, subventionieren sollten. So sehen die Leute nicht, dass das Geld von der Regierung kommt. Sie müssen sich nicht schämen.
Erfüllt Trump die Versprechen?
Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, aber sie wäre sowieso gesunken, auch mit Hillary Clinton.
Bringt er die Jobs zurück?
Nehmen Sie das Beispiel von Sterling, Wyoming. Das ist die Stadt mit dem grössten Anteil an Trump-Wählern, eine Kohle-Stadt. Trump initiierte, dass private Firmen die Möglichkeit haben, auf öffentlichem Grund Kohle zu fördern. Das Problem ist, dass sich keine Firma gemeldet hat.
Am WEF herrscht eine Aufbruchstimmung, vor allem unter den Konzernchefs. Ist der Optimismus berechtigt?
Sind wirklich alle so optimistisch? Nordkorea ist oft ein Gesprächsthema, die Gefahr eines Atomkriegs bringen wir nicht aus den Köpfen raus.
Befürchten Sie einen nuklearen Schlagabtausch?
Nein, nicht in naher Zukunft. Die Nordkoreaner werden kaum einen Atomkrieg vom Zaun brechen. Doch das Beispiel Nordkorea zeigt, dass das Prinzip der nuklearen Abschreckung, der Einschüchterung durch die Atom-Option, funktioniert. Das könnte andere Länder dazu anstacheln, Nordkorea nachzuahmen und auch in den Besitz von Atombomben kommen zu wollen.
An welche Staaten denken Sie konkret?
Dazu werde ich nichts sagen. Aber es besteht die Gefahr, dass Länder, die keine Skrupel haben, Terrorgruppen zu unterstützen, in den Besitz von atomaren Interkontinentalraketen gelangen. Kommt dazu, dass auch die USA und Russland ihr atomares Arsenal modernisieren.
Und all das hat Konsequenzen für die Weltwirtschaft?
Ja, denn es geht um die Storys die erzählt werden, Geschichten über eine unsichere Zukunft. Wie diese Erzählungen der Angst die Wirtschaft beeinflussen, das untersuche ich gerade für ein neues Buch. Denken sie nur an die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts: Da hat die Angst der Menschen vor der wirtschaftlichen Zukunft mehr oder weniger direkt in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geführt.
Robert Shiller (71) gilt als einer der bedeutendsten Ökonomen der Gegenwart. Der stets bescheiden auftretende Amerikaner, der auch ein wenig Deutsch spricht, erklärt die Wirtschaft nicht nur mit Zahlen und Statistiken, sondern auch mit den Geschichten, die sich die Leute im Alltag erzählen. 2013 wurde Shiller mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Seine bekanntesten Bücher sind «Irrationaler Überschwang» und «Animal Spirits».
Robert Shiller (71) gilt als einer der bedeutendsten Ökonomen der Gegenwart. Der stets bescheiden auftretende Amerikaner, der auch ein wenig Deutsch spricht, erklärt die Wirtschaft nicht nur mit Zahlen und Statistiken, sondern auch mit den Geschichten, die sich die Leute im Alltag erzählen. 2013 wurde Shiller mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Seine bekanntesten Bücher sind «Irrationaler Überschwang» und «Animal Spirits».