VR-Präsident sägte Martin Senn über Nacht ab
Zerbrochen am Machtverlust

Keine Verluste, keine Pleiten, keine lauten Töne: Ex-Zürich-Chef Martin Senn (†59) war ein stocksolider Manager. Seine Bescheidenheit wurde ihm zu Verhängnis. Denn die Investoren verlangten nach mehr.
Publiziert: 30.05.2016 um 11:48 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:51 Uhr
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Ex-Zürich-Chef Martin Senn (†59) nahm sich das Leben.
Foto: KEYSTONE/ENNIO LEANZA
Guido Schätti

Ganz nach oben wollte er schon immer: Militärpilot war der Berufswunsch des jungen Martin Senn. Nachdem er bei der fliegerischen Vorschule durchgefallen war, richtete er seinen Kompass neu aus. Senn absolvierte eine Handelsschule, danach machte er beim Bankverein Basel das KV. «Neben der Fliegerei war ich fasziniert von den Handelsräumen der Börse und dem globalen Umfeld«, sagte er einst dem «Migros-Magazin».

Mit der Banklehre im Rucksack stieg Senn steil nach oben. Mit 23 ging er für den Bankverein nach New York, mit 26 wurde er zum Finanzdirektor der Hongkong-Filiale des SBV ernannt und war Chef über 150 Angestellte. 

Senn verbrachte den Grossteil seiner Karriere in Asien. Seine Frau, eine frühere Meistergeigerin, lernte er auf einer Dschunke anlässlich einer 1.-August-Feier im Südchinesischen Meer kennen, 1983 heirateten die beiden. Das Paar hat eine Tochter (28) und einen Sohn (25). 

Nach Abstechern zu Credit Suisse und Swiss Life wechselte Senn vor zehn Jahren als Investment-Chef zur Zurich. Sein Meisterstück lieferte er während der Finanzkrise: Senn gelang es, das 185 Milliarden Franken schwere Zurich-Portfolio ohne grössere Einschläge durch das grösste Beben seit den 1930-er Jahre zu schaukeln. 

Damit qualifizierte sich Senn für höchste Ehren: 2009 ernannte ihn die Zurich zum CEO. «Martin ist eine zupackende, umsichtige und resultatorientierte Führungspersönlichkeit», lobte ihn der damalige Verwaltungsratspräsident Manfred Gentz.

Tief erschüttert über den Selbstmord des Kollegen

Senn führte den Konzern solide, aber unspektakulär. Als Joe Ackermann Präsident des Verwaltungsrates wurde, kam es zum Clash mit dem Management. Ackermann verlangte mehr Leistung und höhere Risiken.

Im Sommer 2013 beging der damalige Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier Selbstmord. In einem Abschiedsbrief beschuldigte er Ackermann, ihn ungebührlich unter Druck gesetzt zu haben. Ackermann trat in der Folge zurück.

Senn zeigte sich damals tief erschüttert: «Selbst wenn man einen Menschen gut kennt und eng mit ihm zusammenarbeitet, sieht man leider nie ganz in ihn hinein», sagte er in einem Interview.

Die Ruhe nach dem Abgang Ackermanns war nur von kurzer Dauer. Investoren erhöhten den Druck auf die Zurich und forderten mehr Rendite. Im letzten Herbst griff Verwaltungsratspräsident Tom de Swaan (70) durch: Knall auf Fall setzte er Senn ab und machte sich selbst zum Interims-CEO.

Seine Bescheidenheit wurde ihm zum Verhängnis

Dass er nach 10 Jahren im Top-Management bei der Zurich einfach abgesägt wurde, hat Senn nicht verkraftet. Im Unterschied zu zahlreichen anderen abgesetzten Firmenführern hatte er sich nicht viel vorzuwerfen.

Unter ihm war die Zurich eine Dividendenmaschine. Nie schrieb sie in seiner Ära einen Verlust, nie war sie in einen gröberen Skandal verwickelt, nie spukte der Chef grosse Töne. Senn blieb stets der bescheidene, konservative Manager. Das nahmen ihm die Finanzmärkte übel: Sie wollten jemanden, der Fantasien weckte. Doch damit konnte der bodenständige Senn nicht dienen.

Rückzug ins Private 

Am letzten WEF war Senn zwar als persönlicher Gast von Gründer Klaus Schwab in Davos, doch Senn machte einen sichtlich geknickten Eindruck. Auf seiner wichtigsten Bühne war er von «seiner» Zurich zum Statisten degradiert worden.

Senn habe in den letzten Wochen depressiv gewirkt, sagt ein Bekannter. Der einstige Top-Manager habe den erlittenen Macht- und Prestigeverlust nicht verkraftet und sich zunehmend zurückgezogen. Einladungen zum Essen oder Golfen habe er ausgeschlagen.

Die Zurich Versicherung teilt derweil auf Twitter mit, dass sie um Martin Senn trauert.

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