SonntagsBlick: Sie haben gestern die neue Gruppenstrategie 2025 präsentiert. Worum geht es?
Guy Lachappelle: Erstens, wir bauen unser Genossenschaftsmodell aus, insbesondere über eine neue digitale Plattform. So können sich unsere fast zwei Millionen Genossenschafter vernetzen und ihre Rechte auch standortunabhängig wahrnehmen. Und zweitens, wir diversifizieren unser Geschäftsmodell und entwickeln uns zum Lösungsanbieter.
Das streben Sie besonders im Bereich Wohnen an. Wie funktioniert das konkret?
Unsere Kundenberater sprechen mit den Leuten über Gott und die Welt. Das gibt ihnen die Chance, genauer hinzuhören. Wenn ein Kunde zum Beispiel vorhat umzuziehen, wird der Kundenberater das künftig aufgreifen und integrale Lösungen von A bis Z anbieten.
Haben Sie als Bank denn die Kompetenz für solche Dienstleistungen?
Unsere Kernkompetenz liegt im Bankgeschäft. Aber wir holen uns das bankfremde Know-how mit Kooperationen. So werden unsere Kundenberater zu Begleitern und Coaches, die kompetente Partner vermitteln.
Im neuen Strategiepapier halten Sie fest, Raiffeisen habe keine Digitalisierungsstrategie. Man liest und staunt.
Sie sehen: Wir sind schonungslos uns selbst gegenüber. Es ist natürlich nicht so, dass wir digital nichts unternommen hätten bis heute. Aber wir wollen dies breiter fassen und eine übergeordnete Strategie entwerfen.
In dem Papier ist viel von genossenschaftlichen und familiären Werten die Rede. Kritiker hingegen sagen, die neue Raiffeisen-Führung sei abgehoben und habe keinen Kontakt zur Basis.
Solche Kritik ist stark vergangenheitsgetrieben. 98 Prozent der 229 Raiffeisenbanken haben am Freitag unserer neuen Strategie zugestimmt. Das spricht für eine Kultur der Teilhabe. Gerade als Genossenschaft ist uns ein partizipativer Ansatz und Dialog auf Augenhöhe wichtig.
Das Hypothekengeschäft ist mit einem Anteil von rund 75 Prozent die wichtigste Einnahmequelle von Raiffeisen. Jetzt will auch Postfinance in diesen Markt einsteigen. Ärgert Sie das?
Dieses Ansinnen muss nun politisch diskutiert werden. Doch aus meiner Sicht gibt es gerade im Hinblick auf den starken Wettbewerb von zahlreichen Anbietern für einen solchen Schritt von Postfinance keine Notwendigkeit.
Wie hat Raiffeisen die Corona-Krise überstanden?
Ein Grossteil der 229 Raiffeisenbanken blieb offen. Und wir haben über 23 '000 KMU mit Krediten im Umfang von insgesamt 1,9 Milliarden Franken bedient. Wir sind froh, dass wir diese Verantwortung wahrnehmen konnten.
UBS und Credit Suisse haben angekündigt, allfällige Gewinne aus dem Kreditprogramm zu spenden. Was machen Sie damit?
Ich bezweifle, dass wir effektiv damit verdienen. Sollte es aber Gewinne geben, entscheiden unsere 229 Banken autonom über die Verwendung.
Die Strafuntersuchung gegen Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz ist abgeschlossen. Der Prozess wird demnächst eröffnet. Wie bereiten Sie Ihre PR-Abteilung darauf vor?
Das ist nicht nötig. Es ist kein Fall Raiffeisen. Es betrifft Personen, die nicht mehr bei Raiffeisen Schweiz arbeiten oder nie da gearbeitet haben.
Haben Sie mit Vincenz Kontakt?
Nein. Kontakt gibt es über die Anwälte. Wir schauen den Prozess als Privatklägerin an.