Seit mittlerweile rund sechs Wochen dürfen wir nicht mehr in die Kneipe, ins Ausland reisen, zum Coiffeur, ins Fitnessstudio, in die Disco etc. Auch der Kauf von Klamotten, Möbeln und Elektronikzeug geht nur noch online. Dass deshalb das BIP laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) dieses Jahr um 6,7 Prozent schrumpfen soll, klingt da eher wie eine starke Untertreibung.
Ein Einbruch von 6,7 Prozent würde bedeuten, dass wir dieses Jahr pro Kopf nur so viel konsumieren wie 2010. Haben wir damals gelitten? Haben wir in den vergangenen Wochen gelitten, in denen Konsum und Produktion laut Seco sogar um 25 Prozent geschrumpft sind? Nein. Die Versorgung der Bevölkerung war – bis auf einen panikbedingen temporären Mangel an Toilettenpapier – in jedem Moment gesichert.
Sparen durch Konsumverzicht
Nein, wir haben kein Versorgungs- dafür aber ein Verteilungsproblem. Dieses sieht – plakativ gesagt – so aus: Alle konsumieren im Schnitt 25 Prozent weniger. Drei Viertel der Bevölkerung arbeiten und verdienen aber immer noch 100 Prozent, geben aber 25 Prozent weniger aus und sparen dadurch pro Woche etwa 4 Milliarden Franken. Diese 4 Milliarden fehlen den anderen 25 Prozent der (Arbeits-)Bevölkerung, die ihre Arbeit verloren haben und nun vom Staat mit Kurzarbeitsentschädigung etc. über die Runden gebracht werden. Der Weltwährungsfonds schätzt diese zusätzlichen Kosten für die Schweiz auf 65 Milliarden.
Das heisst aber nicht, dass die Schweiz um 65 Milliarden ärmer geworden ist. Diese Summe entspricht vielmehr in etwa dem, was die oben erwähnten 75 Prozent eingespart haben. Das Geld bleibt in der Schweiz, es wechselt bloss die Taschen. Bei der Ölkrise war das noch anders. Da mussten wir dem Ausland – den Ölscheichs – viele Milliarden mehr bezahlen. In der Corona-Krise hingegen gehören wir eher zu den Gewinnern: Gemäss dem Seco sinken unsere Exporte deutlich langsamer als die Importe.
Stolperstein Schuldenbremse
Das heisst aber nicht, dass die Corona-Krise harmlos ist. Wenn wir das Verteilungsproblem nicht oder nur schlecht lösen – und danach sieht es aus – droht ein permanenter Anstieg der Arbeitslosigkeit und eine Dauerkrise. Ein Stolperstein sind die geltenden Schuldenbremsen für die Staatsfinanzen und die Arbeitslosenkassen. Sie führen jetzt schon dazu, dass die 25 Prozent Verlierer und deren Firmen nicht ausreichend entschädigt werden und deshalb Personal abbauen oder gar Konkurs anmelden müssen. Vor allem die Miete ist für viele ein grosses Problem.
Diese Knausrigkeit könnte uns in Zukunft noch teuer zu stehen kommen. Grossmut hingegen wäre gratis. Der Bund könnte unter den aktuellen Bedingungen wohl auch 100 Milliarden aufnehmen und sich mit der Rückzahlung Zeit nehmen – sofern wir diese Schuldenbremsen rechtzeitig lockern.
Spenden für den Coiffeur oder die Beiz
Noch viel eleganter wäre es allerdings, wenn die 75 glücklichen Prozent zumindest einen Teil der wöchentlich rund 5 Milliarden gesparten Franken freiwillig dem anderen Viertel zurückgeben würden. Beispielsweise indem sie «ihrer» Beiz, «ihrem» Coiffeur oder «ihrem» Fitnesszentrum Geld spenden. Genau das geschieht ja auch offenbar in beträchtlichem Umfang. Was hindert uns daran, diese Aktionen national zu orchestrieren und zu einem integralen Bestandteil der Krisenstrategie zu machen.
Voraussetzung wäre, diese privaten Zuwendungen so transparent zu machen, dass man sie mit den staatlichen Subventionen verrechnen kann. Vielleicht sollte man sie – wie normale Spenden – mit einem Steuerabzug ermuntern und belohnen. Im Gegenzug könnte der Staat etwa die Mietzinsen für Gewerbebetriebe wenigstens teilweise übernehmen. Sinnvoll wäre es auch, die BVG-Renten für die Dauer der Krise in etwa im Umfang des Minderkonsums zu kürzen. Wer weniger konsumiert, braucht auch weniger Geld. Das würde es den Pensionskassen erlauben, ihren Mietern entgegenzukommen.
In der Krise müssen alle Opfer bringen. Und wenn wir unser Verteilungsproblem solidarisch lösen, ist das Opfer kaum der Rede wert. Ein paar Prozent weniger Konsum auf unserem hohen Niveau bringt vermutlich sogar noch ein Plus an Lebensqualität.