Unternehmensberater Felix Frei (64) über Swisscoms neue Arbeitsformen
«Die Chefs zittern vor Autoritätsverlust»

Agile Organisationsformen sind im Trend. Experte Felix Frei erklärt im Interview, wo die Probleme liegen und wer sich auf einen radikalen Schnitt im Arbeitsleben einstellen muss.
Publiziert: 31.08.2017 um 10:27 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 10:50 Uhr
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Felix Frei (64) berät Firmen in Hinblick auf deren Organisation. Zu den Kunden seiner Zürcher Firma AOC Unternehmensberatung gehören grosse und mittlere Unternehmen, aber auch der Bund.
Foto: HO
Konrad Staehelin

BLICK: Herr Frei, die Swisscom krempelt ihre IT-Abteilung um und schafft einen Grossteil der Chefs ab. Ist das eine gute Idee?
Felix Frei: Es gibt keine Alternative dazu. Die Digitalisierung macht es möglich, flexible und massgeschneiderte Produkte anzubieten, nicht immer nur nach Schema X zu produzieren. Aber dafür muss eine Firma entsprechend aufgestellt sein. Das gilt vor allem für die IT-Branche.

Dann ist das Thema für alle, die in anderen Berufen arbeiten, egal?
Nein. Im Moment setzen zwar vor allem die IT-Branche und Start-up-Firmen auf agile Organisationsformen. Aber ein Grossteil der Wirtschaft wird sich anpassen müssen. Nur wer flexibel ist, kann von der Digitalisierung profitieren.

Wie wollen Sie das dem Quartier-Beck oder dem Maurer beibringen?
Für die gilt das nicht. Wo Arbeit standardisiert geschieht, ist die klassische Hierarchie auch in Zukunft sinnvoll.

Nur weil die Firmen jetzt ein paar hippe englische Begriffe verwenden, dreht sich die Welt nicht andersrum. Die Arbeit bleibt die gleiche.
Stimmt nicht. Agil zu arbeiten, ist ein radikaler Schnitt. Die Leute tragen nicht mehr nur ihren kleinen Teil zum Gesamtprodukt bei, sondern sind komplett eingebunden. Sie tragen Verantwortung für das Endprodukt.

Kann Basisdemokratie in einer Firma funktionieren? Einer muss doch sagen, wo es langgeht.
Agile Organisationsformen haben nichts mit Basisdemokratie zu tun, es wird auch nicht nur palavert. Regelmässige Kommunikation ist natürlich wichtig, aber es darf auch Befehle geben. Es gibt nur nicht mehr die eine Person, die immer befiehlt, die Last wird verteilt. 100 Köpfe haben mehr gute Ideen als einer.

Jeder, der heute noch Chef ist, wird sich mit Händen und Füssen gegen einen solchen Statusverlust stemmen.
Das ist wirklich oft so. Zwei Drittel aller Chefs verlieren einen grossen Teil ihrer Autorität, wenn sie ihren Titel los sind – davor zittern sie. Nur eine Minderheit wird weiterhin wegen ihrer Kompetenz respektiert. Für die ist es kein Problem, dass ein Grossteil der Chef-Posten gestrichen wird. Sie werden sich weiterhin Gehör verschaffen können.

Eine grosse Triebkraft für gute Arbeit ist die Aussicht, in eine Chefposition aufzusteigen. Das gibt es in agilen Organisationen kaum mehr.
Andere Faktoren werden immer wichtiger. Vielen Leuten sind heute der Arbeitsinhalt und die Art der Zusammenarbeit wichtiger als ein goldener Streifen auf der Schulter.

Wie komme ich künftig zu einer Lohnerhöhung, wenn ich nicht mehr aufsteigen kann?
Damit sprechen Sie einen wunden Punkt an. Da Lohn, Bonus, Status und Privilegien heute allesamt an die formale Hierarchie gebunden sind, wird aus dieser Ecke der grösste Widerstand kommen. Doch wer weiss: Vielleicht denken die Jungen da dereinst auch offener.

Für normale Angestellte klingen agile Organisationsformen nach mehr Verantwortung und Druck bei gleichem Lohn.
Die meisten merken bald, dass sie sich viel mehr mit der Arbeit identifizieren können, sobald sie mehr Einfluss haben. Klassische Hierarchien dagegen bedienen gefährliche Interessen: Oben sonnen sich die Chefs im Glanz und kassieren ab, unten machen es sich die Angestellten bequem, schieben die Verantwortung an den Chef ab und schauen nicht mehr nach links und rechts. In einer agilen Organisation kann sich keiner mehr verstecken.

In der Schweiz sind solche Arbeitsformen noch eine Nische. Hinken wir dem Ausland hinterher?
Nein, und wir sind hervorragend aufgestellt. Der Föderalismus, die direkte Demokratie und die Vereinskultur haben die Schweizer zu aktiven, sehr mündigen Bürgern gemacht. Es gibt wenige Länder, die so gute Voraussetzungen mitbringen.

Wer hat bei Ihnen das Sagen?

Bei der Swisscom wird in ein paar Jahren mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden keinen Chef mehr ­haben. Und Sie? Gibts in Ihrem Unternehmen auch keine Hierarchien mehr? Oder haben Sie ein anderes untypisches Organisationsmodell, das BLICK-Leser interessieren könnte? Schicken Sie uns bis Freitagmittag ein E-Mail an blickwirt@ringier.ch oder eine Nachricht per Whatsapp auf 079 813 80 41. Danke fürs Mitmachen!

Mehr Macht den Querulanten!

Kommentar von Wirtschaftsredaktor Konrad Staehelin

Kinder werden für einen Seich nach dem milderen Jugendstrafrecht beurteilt. Die Gesellschaft geht davon aus, dass sie noch nicht den Grips haben, um die volle Verantwortung zu tragen. Im Unterschied zu einem Erwachsenen.

Im Job gilt dasselbe: Wer Befehle ausführt, steht unter weniger Druck als jener, der sie gibt. Geht ein Projekt schief, hält meist der Chef den Kopf hin.

Warum muss Sie das interessieren?

Die Digitalisierung hat gerade erst damit angefangen, Jobs zu schaffen, die Grips brauchen. Und wer etwas im Kopf hat, ist ungern Befehlsempfänger. In klassischen Hierarchien gelten diese Menschen als Querulanten. Solches Denken ist von gestern. Nur wo sich Querdenker einbringen können, werden sie wertvoll. Je flacher die Hierarchie, desto eher ist das der Fall.

Klar lauern Fallstricke: Was ist mit jenen, die eine Karriere anstreben? Wer in einem erfolgreichen Team hat am ehesten eine Lohnerhöhung verdient? Hier ist Frust programmiert.

Doch das ist es wert. Denn je mehr Verantwortungsträger die Gesellschaft bekommt, desto mündiger wird sie. Das ist, wie wenn ein Kind erwachsen wird.

Shane Wilkinson

Kommentar von Wirtschaftsredaktor Konrad Staehelin

Kinder werden für einen Seich nach dem milderen Jugendstrafrecht beurteilt. Die Gesellschaft geht davon aus, dass sie noch nicht den Grips haben, um die volle Verantwortung zu tragen. Im Unterschied zu einem Erwachsenen.

Im Job gilt dasselbe: Wer Befehle ausführt, steht unter weniger Druck als jener, der sie gibt. Geht ein Projekt schief, hält meist der Chef den Kopf hin.

Warum muss Sie das interessieren?

Die Digitalisierung hat gerade erst damit angefangen, Jobs zu schaffen, die Grips brauchen. Und wer etwas im Kopf hat, ist ungern Befehlsempfänger. In klassischen Hierarchien gelten diese Menschen als Querulanten. Solches Denken ist von gestern. Nur wo sich Querdenker einbringen können, werden sie wertvoll. Je flacher die Hierarchie, desto eher ist das der Fall.

Klar lauern Fallstricke: Was ist mit jenen, die eine Karriere anstreben? Wer in einem erfolgreichen Team hat am ehesten eine Lohnerhöhung verdient? Hier ist Frust programmiert.

Doch das ist es wert. Denn je mehr Verantwortungsträger die Gesellschaft bekommt, desto mündiger wird sie. Das ist, wie wenn ein Kind erwachsen wird.

Den CS-Bossen wurde es zu heiss

Erste Schweizer Konzerne schütteln ihre IT-Abteilungen durch und schaffen einen grossen Teil der Chefs ab. Ein Revolution? Vielleicht. Aber eine, die schon viel früher geprobt wurde.

Ab Mitte der 1990er-Jahre arbeitete die Credit Suisse, damals hiess sie noch Schweizerische Kreditanstalt (SKA), schon einmal vorübergehend mit agilen Organisationsformen – als dieser Begriff noch nicht einmal erfunden war.

«Die SKA war führend»

Hans-Peter Korn (70), damals als IT-Projektmanager bei der Grossbank persönlich dabei, heute Pensionär, erinnert sich: «Die SKA war damals visionär, in der IT waren wir führend in der Schweiz.» Korn und sein Team arbeiteten an einem Projekt, welches mit einer neuartigen Software die Zugriffssicherheit auf Bankdaten erhöhen sollte.

Total arbeiteten einige Hundert Leute in sehr flachen Hierarchien an verschiedenen Projekten, die meisten in Zürich-Oerlikon. Der Titel eines Management-Hefts, das die Konzernspitze 1999 herausgab: «Flow Teams – Selbstorganisation in Arbeitsgruppen».

«Chefs müssen mitziehen»

«Die Resultate waren viel innovativer als zuvor», sagt Korn rückblickend. «Jeder fühlte sich wertgeschätzt, jeder konnte seine Ideen einbringen.» Leider seien sie so innovativ gewesen, dass ein grosser Teil des Managements sie nicht mehr mittrug. «Die Chefs entschieden sich im Zweifel für die vertraute Variante.»

Die Konsequenz: Nach wenigen Jahren beendete das Management das Experiment und führte wieder die frühere Arbeitsweise ein.

«Das ständige Problem mit agilen Organisationsformen ist: Die Chefs müssen sie komplett mittragen, sonst ist es zum Scheitern verurteilt», sagt Korn.

Heute dagegen hat die CS wieder grossen Gefallen an der neuen Arbeitsform gefunden, wie BLICK heute Donnerstag schreibt. Mario Crameri, Leiter IT & Operations, äussert sich in einem heute erschienenen Firmenmagazin wie folgt: «Ich glaube an flache Hierarchien. Deswegen arbeiten wir in agilen Teams, sogenannten selbstorganisierenden Squads. Jeder im Team kann, beziehungsweise soll sich einbringen.»

Erste Schweizer Konzerne schütteln ihre IT-Abteilungen durch und schaffen einen grossen Teil der Chefs ab. Ein Revolution? Vielleicht. Aber eine, die schon viel früher geprobt wurde.

Ab Mitte der 1990er-Jahre arbeitete die Credit Suisse, damals hiess sie noch Schweizerische Kreditanstalt (SKA), schon einmal vorübergehend mit agilen Organisationsformen – als dieser Begriff noch nicht einmal erfunden war.

«Die SKA war führend»

Hans-Peter Korn (70), damals als IT-Projektmanager bei der Grossbank persönlich dabei, heute Pensionär, erinnert sich: «Die SKA war damals visionär, in der IT waren wir führend in der Schweiz.» Korn und sein Team arbeiteten an einem Projekt, welches mit einer neuartigen Software die Zugriffssicherheit auf Bankdaten erhöhen sollte.

Total arbeiteten einige Hundert Leute in sehr flachen Hierarchien an verschiedenen Projekten, die meisten in Zürich-Oerlikon. Der Titel eines Management-Hefts, das die Konzernspitze 1999 herausgab: «Flow Teams – Selbstorganisation in Arbeitsgruppen».

«Chefs müssen mitziehen»

«Die Resultate waren viel innovativer als zuvor», sagt Korn rückblickend. «Jeder fühlte sich wertgeschätzt, jeder konnte seine Ideen einbringen.» Leider seien sie so innovativ gewesen, dass ein grosser Teil des Managements sie nicht mehr mittrug. «Die Chefs entschieden sich im Zweifel für die vertraute Variante.»

Die Konsequenz: Nach wenigen Jahren beendete das Management das Experiment und führte wieder die frühere Arbeitsweise ein.

«Das ständige Problem mit agilen Organisationsformen ist: Die Chefs müssen sie komplett mittragen, sonst ist es zum Scheitern verurteilt», sagt Korn.

Heute dagegen hat die CS wieder grossen Gefallen an der neuen Arbeitsform gefunden, wie BLICK heute Donnerstag schreibt. Mario Crameri, Leiter IT & Operations, äussert sich in einem heute erschienenen Firmenmagazin wie folgt: «Ich glaube an flache Hierarchien. Deswegen arbeiten wir in agilen Teams, sogenannten selbstorganisierenden Squads. Jeder im Team kann, beziehungsweise soll sich einbringen.»

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