Der passionierte Triathlet Patrik Gisel (56) hat im letzten Moment doch noch die Kurve gekriegt, tritt von sich aus als CEO von Raiffeisen zurück, bleibt aber noch bis Ende Jahr. Das hat er so mit dem Verwaltungsrat vereinbart. Gisel steht seit Oktober 2015 an der Spitze von Raiffeisen.
Über die Gründe für den Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt kann nur spekuliert werden. In einem Brief an «Geschäftspartner, Freunde und Bekannte», der BLICK vorliegt, schreibt Gisel, dass er den «Entscheid schweren Herzens» getroffen habe. Er beklagt die «negativen Schlagzeilen», die zur Verunsicherung beigetragen und der Reputation der Bank geschadet haben. Alleine die Tatsache, dass er viele Jahre Stellvertreter von Pierin Vincenz gewesen sei, habe, so Gisel, «zu medialer Kritik geführt, teilweise auch zu unfairen Angriffen auf meine Person».
Erst am 22. August, wenn Raiffeisen die Halbjahreszahlen präsentiert, will sich Gisel ausführlich zu seinem Rücktritt äussern.
Druck der Medien
Der mediale Druck hatte in den letzten Tagen wieder zugenommen. Vor kurzem hatte die «Sonntagszeitung» brisante Details aus dem geheimen Untersuchungsbericht der Finanzmarktaufsicht (Finma) enthüllt, unter anderem über die Beteiligung von Raiffeisen am Finanzdienstleister Leonteq. Dabei hat das Führungsduo Vincenz/Gisel offenbar keine gute Figur gemacht, von einem Klumpenrisiko ist die Rede.
Ob auch von Seiten der Genossenschafter und aus dem Verwaltungsrat Druck ausgeübt wurde, ist unklar. Dass einige Genossenschafter für einen radikalen Neuanfang an der Spitze von Raiffeisen sind, ist ein offenes Geheimnis. VR-Präsident Pascal Gantenbein (48) schreibt in einem Statement, in den letzten Tagen hätten intensive Gespräche über die Zukunft der Organisation stattgefunden. Gantenbein ist nun die Hypothek Gisel los, doch seine Zukunft bei der drittgrössten Bank der Schweiz ist alles andere als gesichert.
Gisel hat trotz allem einen guten Job gemacht
Gisels Zukunft war schon länger unsicher. Spätestens seit Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz (62) von Ende Februar bis Mitte Juni rund 15 Wochen in Untersuchungshaft sass, musste auch Gisel um seinen Job bangen – und kämpfte darum wie ein Berserker! Er machte sich daran, das Erbe der Ära Vincenz zu zerschlagen, trennte sich von Beteiligungen, verkaufte Notenstein La Roche an Vontobel, nahm Abschied vom Glamour der Vincenz-Jahre.
Eigentlich hat Gisel einen guten Job gemacht, letztes Jahr ein Rekordergebnis eingefahren. Doch 13 Jahre als Nummer zwei hinter Vincenz waren zu viel. Gisel hat begriffen, dass seine Person untrennbar mit der Ära Vincenz verbunden ist.
Das Gesicht gewahrt
Auch unter seiner Führung lief nicht alles optimal, die Einführung einer neuen Bankensoftware von Avaloq verursacht grosse Probleme.
Mit dem Rücktritt kann Gisel sein Gesicht wahren. Vor allem, wenn er seine letzte Aufgabe mit Bravour erledigt: Er muss seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin nicht nur ein sauberes Pult, sondern auch eine aufgeräumte Bank hinterlassen. Das Werkzeug hat er in der Hand: den Untersuchungsbericht der Finma über die Verfehlungen in der Zeit der Ära Vincenz.