So viele leere Wohnungen wie nie zuvor
Bauherren drohen Pleiten, Mieter profitieren

In der Schweiz stehen so viele Wohnungen leer wie seit den 1990er-Jahren nicht mehr. Am höchsten sind die Leerstände im Mittelland. Das Problem sei hausgemacht, sagt Ansgar Gmür, Präsident des Hauseigentümerverbands.
Publiziert: 12.09.2017 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2018 um 14:08 Uhr
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Über diese Schnickschnack-Siedlung in Mellingen AG schrieb BLICK im letzten November.
Foto: Konrad Staehelin
Konrad Staehelin und Bastian Heiniger

In der Schweiz steht aktuell so viel Wohnraum leer, dass die ganze Bevölkerung der Stadt Bern darin Platz finden würde: 65'000 Wohnungen mit Platz für knapp 150'000 Menschen sind unbewohnt. So viele waren es noch nie!

Am extremsten ist die Situation im Mittelland. Im Kanton Aargau sind 2,34 Prozent aller Wohnungen verwaist, in Solothurn 2,89 – so viele wie in keinem anderen Kanton. Die Emmentaler Gemeinde Dürrenroth BE erreicht sogar den traurigen Höchstwert von 14,31 Prozent. Das zeigen Zahlen, die das Bundesamt für Statistik gestern publiziert hat.

Der Schweizer Schnitt liegt bei knapp 1,5 Prozent. Hauptgrund für den Höchststand ist ein Bauboom bei Mietwohnungen, provoziert vor allem von einem Anlage-Notstand im aktuellen Tiefzinsumfeld (BLICK berichtete). Die Situation dürfte sich nächstes Jahr noch verschärfen.

Schnickschnack für die Mittelschicht

Warum trifft es genau das Mittelland? Clivia Wullimann (51), designierte Präsidentin des Mieterverbands im Kanton Solothurn, erklärt, der Boden dort sei traditionell günstig. Das habe in den letzten Jahren viele Bauinvestoren angelockt.

Martin Neff (57), Chefökonom der Raiffeisen-Bank, sagt: «Sehr viele wollen in der Stadt wohnen, aber immer weniger können es sich leisten. Darum gibt es einen Ausweicheffekt, erst in die Vorstadt, dann weiter aufs Land hinaus.» In der Folge werde dort sehr stark gebaut.

Ansgar Gmür (63), Direktor des Hauseigentümerverbands Schweiz (HEV), übt Kritik. Einerseits verteuerten Vorschriften das Bauen. «Teilweise sind die Bauherren aber auch weltfremd. Sie bauen in eine normale Mittelschichtswohnung spezielle Bäder und solchen Schnickschnack ein.»

Ein Beispiel dafür: die Flop-Überbauung Neugrüen in Mellingen AG, die BLICK letzten November vorstellte. 147 Mietwohnungen und -häuser mit Minergie-A-Eco-Standard, die auf dem Markt nicht ankamen und noch heute zu einem grossen Teil leer stehen. Kein Einzelfall: «An vielen Orten im Mittelland sind die Mieten zu hoch», sagt Gmür. «Sie werden in den nächsten Jahren sinken.»

Unprofessionelle überleben nicht

Der Anfang dazu ist schon gemacht: Eine Erhebung des Immobilienportals Homegate zeigt, dass die Mieten für ausgeschriebene Wohnungen schon seit Anfang 2016 landesweit fallen. Besonders deutlich ist der Sinkflug im Kanton Solothurn (siehe Grafik). Also just in jenem Kanton, der die grössten Leerstände verzeichnet.

Auch bei bestehenden Mietverhältnissen dürften die Preise nach langer Steigerung bald wieder sinken, meint Raiffeisen-Ökonom Neff. Der Grund: die Absenkung des Referenzzinssatzes vom Juni auf 1,5 Prozent.

Das freut die Mieter – und schmerzt die Vermieter. Dreimal länger als vor drei Jahren dauert es heute, eine Wohnung zu vermieten. HEV-Direktor Gmür: «Der Markt wird das Problem selbst regeln. Aber es wird schmerzhaft. Jene Bauherren im Mittelland, die nicht genug professionell sind, werden zuerst Konkurs gehen.»

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