Schweizer Tourismus in Gefahr
Der Euro wird bald einen Franken kosten

Am Dienstag ist der Euro unter 1.10 Franken gefallen. Dieser Trend geht weiter: «Die Parität kommt», sagt Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (58). Was gut ist für Schweizer Feriengäste im Euro-Raum, verheisst nichts Gutes für den Tourismus und die Exportindustrie.
Publiziert: 28.07.2019 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2019 um 08:48 Uhr
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Bald wird der Euro einen Franken kosten. Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff (58) warnt: «Die Parität kommt.»
Foto: Photo by Willy Spiller
Danny Schlumpf

Am Dienstag rutschte der Eurokurs unter die magische Grenze von 1.10 Franken. Zwar ist er seit Donnerstag wieder leicht gestiegen. Doch der Trend weist nach unten. Martin Neff (58), Chefökonom der Raiffeisenbank, zu SonntagsBlick: «Die Parität kommt. In 18 Monaten wird der Euro einen Franken kosten.»

Dieser Paukenschlag dürfte bei vielen das Jahr 2015 in Erinnerung rufen. Damals hob die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Mindestkurs von 1.20 Franken Knall auf Fall auf. Der Euro stürzte zwischenzeitlich auf unter einen Franken ab.

«Das war ein Stahlbad für die Exportindustrie», erinnert sich Jean-Philippe Kohl (53), Vize- direktor des Industrieverbandes Swissmem. «Wir verloren damals 13'000 Arbeitsplätze.» Bei einer erneuten Parität würde der Franken gegenüber dem Euro rund 20 Prozent überbewertet, rechnet er vor. «Das wäre für viele Firmen ein K. o.»

Schwer zu verkraften

Auch die Tourismusbranche fürchtet sich vor dem Schreckgespenst. «Wir spüren den Euro-Wechselkurs», sagt der Bündner Volkswirtschaftsdirektor Marcus Caduff (45, CVP). «Die Logiernächte in unseren Hotels steigen und fallen damit.» Ein Kurs von eins zu eins wäre für den Kanton schwer zu verkraften: «Nach den Schweizern sind die europäischen Besucher hier die wichtigsten Gäste. Kommt die Parität, werden diese Gäste ausbleiben.»

André Aschwanden (40), Mediensprecher von Schweiz Tourismus, findet es wichtig, nicht in Panik zu verfallen. «Solange es nicht wird wie 2015, versuchen wir, gelassen zu bleiben.»

Der Leitzins der Schweizerischen Nationalbank liegt zurzeit bei minus 0,75 Prozent. Wäre die SNB in der Lage, eine weitere Aufwertung des Frankens mit ­einer neuerlichen Zinssenkung zu verhindern? Eventuell auch mit Interventionen auf dem ­Finanzmarkt? «Nein», sagt Ökonom Neff. Das habe auch bis jetzt nicht geholfen. «Die Nationalbank hängt am Tropf der ­Europäischen Zentralbank. Gleichzeitig ist die Schweizer Wirtschaft sehr robust, weshalb der Franken als sicherer Hafen gesucht wird.» Dies wiederum werte den Franken weiter auf.

Schuld ist die EZB

Auch Adriel Jost (34) vom ­Beratungsunternehmen Wellershoff & Partners ist skeptisch: «Vielleicht liegt noch eine weitere Senkung des Leitzinses drin.» Mit jeder Senkung aber steige die Gefahr, dass die Bargeldnachfrage in der Schweiz zunehme «und das Horten beginnt».

Verantwortlich für die Misere der gemeinsamen Währung ist die Europäische Zentralbank (EZB). «Sie hat sich mit ihrer expansiven Geldpolitik selbst in eine Falle manövriert», sagt Rahim Taghizadegan (40), österreichischer Wirtschaftsphilosoph und Mitverfasser des Bestsellers «Die Nullzinsfalle».

Seit der Finanzkrise 2008 senkt die EZB die Zinsen und kauft Staatsanleihen in Billionenhöhe. Damit ermöglicht sie hoch verschuldeten Staaten wie Italien und Griechenland, immer weiter und immer kostengünstiger Schulden zu machen.

Die EZB flutet die Märkte mit Geld, um die Wirtschaft anzukurbeln. Aus Angst vor einer Rezession fixiert sie sich auf ein ­Inflationsziel von zwei Prozent und hält ihren Kurs so lange, bis dieses Ziel erreicht ist.

Angst vor dem Crash

Zwar sagen die Lehrbücher der Währungspolitik, dass eine Steigerung der Geldmenge zur Inflation führe. «Aber dieser Transmissionsmechanismus funktioniert nicht mehr», sagt Martin Neff. «Seit 2008 hätschelt man nur die Finanzmärkte. In der Realwirtschaft kommt das billige Geld gar nie an.»

Vermögenswerte steigen weiter an, die Immobilienpreise schiessen in die Höhe und die Börsenkurse jagen von Rekord zu Rekord. Die Folge ist eine extrem gefährliche Blase. Und dennoch wird EZB-Präsident Mario Draghi (71) im September die Leitzinsen wohl erneut senken und wieder Staatsanleihenkäufe im grossen Stil tätigen. Warum?

«Aus Angst vor dem Crash», sagt Rahim Taghizadegan. Was das Ganze noch verschlimmert, denn: «Je grösser die Angst, desto grösser der Crash. Besonders, wenn die Angst unbewusst schlummert und durch die Droge des billigen Geldes betäubt wird.»

Wachstum auf Pump

Nicht besser sieht es in den USA und in China aus. Beide wachsen zwar, aber auf Pump. Nächste Woche wird US-Notenbankchef Jerome Powell (66) die Zinsen senken – was das System noch sensibler macht.

«Es braucht lediglich einen Trigger», sagt Martin Neff. «Dann ist der nächste Crash da. Ein harter Brexit könnte dieser Trigger sein.» Dieses Risiko ist mit der Wahl von Boris Johnson zum neuen britischen Premier massiv gestiegen.

Für alle Schweizer, die jetzt gen Süden fahren, hat das Ganze aber auch sein Gutes: Das ­Feriengeld dürfte für ein paar zusätzliche Sommercocktails reichen.

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