Die Ansage ist unmissverständlich: «Integration bedeutet, dass sich Jugendliche den schweizerischen Gebräuchen anpassen», steht auf dem Merkblatt von Schuhschweiz, dem Verband der Schweizer Schuhbranche, das SonntagsBlick zugespielt wurde. «In letzter Zeit mussten wir am üK-Standort feststellen, dass vermehrt ein Kopftuch getragen wird.» Deshalb müssen muslimische Schuhfachfrau-Stiftinnen, die an den überbetrieblichen Kursen (üK) von Schuhschweiz teilnehmen, eine Bewilligung für ihr Kopftuch mitbringen.
Der Ehrenpräsident von Schuhschweiz, Dieter Spiess (68), bestätigt die Echtheit des Merkblatts. «Unser Grundsatz ist: So wie die Jugendlichen im Geschäft gekleidet sind, so sollen sie auch bei uns in den Kursen gekleidet sein.» Das bedeute etwa auch: Keine Caps und Trainerhosen. Den Kursleitern sei aufgefallen, dass zunehmend junge Frauen Kopftuch tragen würden, so Spiess. Aber: «Wir sind eine offene Gesellschaft, in der man in der Regel kein Kopftuch trägt. Dem wollen wir Rechnung tragen.»
Deshalb die Bestimmung: Wer in seinem Lehrbetrieb ein Kopftuch tragen darf, darf dies auch in den Kursen. «Dann ist das für uns in Ordnung!», versichert Spiess. Aber: Der Ausbildungsbetrieb muss den Lehrtöchtern schriftlich eine Bestätigung mitgeben. Diese müssen das Schreiben unaufgefordert am ersten Tag des Kurses vorweisen. Die Regel gelte seit einem Jahr. «Wir hatten keine Reklamationen von den Jugendlichen.»
Fragwürdiges Merkblatt
Dennoch ist sie problematisch. Der ehemalige Bundesrichter Giusep Nay (75) glaubt, dass es bereits für einen Lehrbetrieb sehr schwierig würde, einem muslimischen Mädchen das Kopftuch zu verbieten. «Der Lehrbetrieb müsste beweisen, dass seine Interessen schwerer wiegen als die Religionsfreiheit des Mädchens», so Nay.
Kein Verständnis hat der hochdekorierte Jurist aber für das Merkblatt von Schuhschweiz: «In den Kursen haben die Mädchen keinerlei Kundenkontakt. Diese Regelung ist diskriminierend», so Nay. Solange es aber kein Bundesgerichtsurteil gebe, solange sei sie gültig. Auch die Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) findet: «Aus unserer Sicht schränkt diese Weisung die Religionsfreiheit ein.»
Dieter Spiess – er ist auch Ex-Präsident der Baselbieter SVP – sagt: «Juristisch ist das eine Gretchenfrage, die erst noch geklärt werden muss.»
Er bestreitet, dass Druck auf muslimische Mädchen ausgeübt werde: «Oftmals tun wir den jungen Frauen einen Gefallen, weil sie von zu Hause aus unter Druck gesetzt werden, ein Kopftuch zu tragen.» FIDS-Sprecher Önder Günes entgegnet: «Da hat unserer Ansicht nach jemand die Idee der Integration nicht verstanden. Und möchte Druck auf die Schülerinnen ausüben, damit keine Kopftücher mehr angeschaut werden müssen.» Die Beweislast werde umgekehrt. «Man muss eine Bewilligung für eine religiöse Praxis vorweisen. Das ist stossend.»
Dieter Spiess betreibt in Gelterkinden BL selbst einen Schuhladen. Auf die Frage, ob Frauen mit Kopftuch schlecht fürs Geschäft seien, antwortet er: «Persönlich müsste ich drei Mal überlegen, ob ich eine Schuhfachfrau mit Kopftuch anstellen würde. Unsere Kunden in Gelterkinden erwarten eine gewisse Angepasstheit an die Schweizer Kultur.»