Sie versuchen jeweils, sich so gut wie möglich zu verkaufen, wenn Sie sich bewerben? Dann werden Sie bald umdenken müssen.
Professor Reinhard Riedl, wissenschaftlicher Leiter Wirtschaft an der Berner Fachhochschule, hat sich als Experte für Digitalisierung und Big Data einen Namen gemacht. Er prognostiziert: «In fünf Jahren wird der Bewerbungsprozess bereits bei vielen Arbeitgebern digitalisiert sein. In zehn Jahren ist dies Standard.»
Das bedeutet: Egal, was Sie in Ihre Bewerbung schreiben – der Arbeitgeber wird bereits wissen, ob Sie sich gesund ernähren, wie Sie mit Geld umgehen, wie viel Sport Sie treiben, wie hoch Ihr Krankheitsrisiko ist und ob Sie die Voraussetzungen mitbringen, Karriere zu machen. Zudem wird ein «Authentizitätsindex» verraten, wie realistisch Sie sich dargestellt haben.
Zumindest wird der Personalverantwortliche glauben, all dies sei ihm bekannt – aufgrund von Angaben, die Datenauswertungsprogramme ausspucken. Zu bremsen ist diese Entwicklung, so Riedl, nur durch strenge Datennutzungsgesetze.
Es lässt sich ein detailliertes Persönlichkeitsprofil erstellen
Der Wissenschaftler sieht in der Digitalisierung auch Vorteile: Eine systematische Auswertung des Lebenslaufs erlaubt Entscheide, die auf Daten basieren statt auf Vorurteilen – wie etwa dem, dass Top-Fachexperten oder Kandidaten aus der Forschung nicht als Manager taugen. Oder dass Frauen in Situationen mit hartem Wettbewerb grundsätzlich scheitern. Vor allem aber warnt Riedl vor den Gefahren. Denn da ist er sicher: «Alles, was nicht explizit verboten ist, wird gemacht werden.»
Und da wir dem Detailhändler bereitwillig erlauben, Daten über unsere Einkäufe zu sammeln, der Krankenkasse die Auswertung unseres Schrittzählers übermitteln und unser Privatleben auf Social Media preisgeben, ist das eine ganze Menge. Daraus lässt sich ein ziemlich detailliertes Persönlichkeitsprofil erstellen, inklusive politischer Ausrichtung und sexueller Orientierung.
Personalfachleute könnten durch «digitale Hilfsarbeiter» ersetzt werden
Bewertet, so Riedl, wird auch unsere Performance auf Social Media wie Facebook oder Twitter: Wie vernetzt sind wir? Können wir andere überzeugen, sogar Meinungen umdrehen? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit bei einer Frau, in den nächsten zwei Jahren schwanger zu werden?
Schon die Wohnadresse ist eine mächtige Informationsquelle: Wie hoch ist die Diabetesrate im Quartier? Welches Konsum- und Freizeitverhalten zeigen durchschnittliche Bewohner? Wie viele Unfälle geschehen hier, wie häufig wird man zum Opfer von Verbrechen?
Sie denken, das gebe doch keine sinnvollen Hinweise auf Ihre Person? Dann haben Sie eines der Hauptprobleme dieser Entwicklung erkannt: Reinhard Riedl prognostiziert, die Versuchung für Firmen werde gross sein, Personalfachleute durch «digitale Hilfsarbeiter» zu ersetzen, die allein aufgrund der Zahlen entscheiden, die solche Programme ausspucken.
Der Ökonom: «Auch wenn die Auswertung seriös gemacht wird – wenn alle dieselben Daten verwenden, werden Menschen mit schlechten Zahlen durch die Maschen fallen.» Das sei nicht nur für die Betroffenen tragisch, sondern schade der Volkswirtschaft. Und letztlich dem sozialen Frieden.